Fillory - Die Zauberer
Regal mit Lehrbüchern der Magie hing an der Wand. Jedes Zimmer atmete die reinliche Atmosphäre eines Raumes, der gerade heftig mit einem Birkenreisigbesen ausgefegt worden war.
»Setzen«, befahl Mayakowski.
Quentin nahm Platz. Der Professor legte nacheinander, als baue er Figuren auf einem Schachbrett auf, vor ihn hin: einen Hammer, einen Holzblock, eine Schachtel Nägel, ein Blatt Papier und ein kleines Buch, in blasses Pergament eingeschlagen.
Mayakowski tippte auf das Blatt Papier.
»Den Hammer-Spruch Legrands«, sagte er. »Sie kennen ihn?«
Jeder kannte ihn. Es war ein Standard-Lehrspruch. Obwohl theoretisch simpel – der Spruch garantierte, dass ein einzuschlagender Nagel gerade und mit einem Hieb in den Untergrund eindrang –, war er in Wirklichkeit besonders heikel. Er existierte in buchstäblich Tausenden von Variationen, jeweils den herrschenden Umständen entsprechend. Den Legrand anzuwenden war vermutlich schwieriger, als den verdammten Nagel auf die altmodische Art einzuschlagen, aber für didaktische Zwecke kam er wie gerufen.
Mayakowski tippte mit einem dicken Fingernagel auf das Buch.
»Dieses Buch enthält auf jeder Seite eine andere Gruppe von Zirkumstanzien. Verstanden? Ort, Wetter, Sterne, Jahreszeit – Sie werden sehen. Sie werden den Spruch nach jeder einzelnen der Zirkumstanzien anwenden. Viel Spaß beim Üben. Ich komme zurück, wenn fertig mit Buch. Khorosho? «
Mayakowskis russischer Akzent wurde stärker, je weiter der Tag voranschritt. Nach und nach ließ er die bestimmten Artikel weg. Als er die Tür hinter sich schloss, öffnete Quentin das Buch. Ein nicht besonders kreativer Leser hatte vorne hineingeschrieben: IHR, DIE IHR HIER EINTRETET, LASST ALLE HOFFNUNG FAHREN. Quentin vermutete, dass Mayakowski das Gekritzel gesehen, aber absichtlich stehen gelassen hatte.
Schon bald kannte Quentin Legrands Hammer-Spruch besser, als er jemals einen Spruch zu kennen wünschte. Mit jeder Seite wurden die im Buch aufgelisteten Zirkumstanzien esoterischer und abstruser. Quentin wandte Legrands Spruch um zwölf Uhr mittags und um Mitternacht an, im Sommer und im Winter, auf Berggipfeln und tief unter der Erdoberfläche. Er sagte ihn unter Wasser und auf dem Mond auf. Und er sprach ihn am frühen Abend während eines Schneesturms an einem Strand der Insel Mangareva. Eine völlig absurde Konstellation, da Mangareva zu Französisch-Polynesien gehörte und im Südpazifik lag. Er wandte den Spruch als Mann, als Frau und – war das wirklich relevant? – als Hermaphrodit an. Er sagte ihn wütend, zweifelnd und mit bitterer Reue.
Bis dahin war Quentins Mund trocken und seine Fingerspitzen fühlten sich taub an. Viermal hatte er sich mit dem Hammer auf den Daumen geschlagen. Der Holzklotz war gespickt mit flachgeklopften Eisennagelköpfen. Lautlos stöhnend ließ Quentin den Kopf gegen die harte Rückenlehne des Stuhls sinken. Die Tür flog auf und Professor Mayakowski trat ein, in den Händen ein klimperndes Tablett.
Er stellte das Tablett auf dem Tisch ab. Darauf befanden sich eine Tasse heißer Tee, ein Krug Wasser, ein Teller mit einem Klecks säuerlicher europäischer Butter und einer dicken Scheibe Sauerteigbrot. Dazu ein Glas mit klarer Flüssigkeit, etwa zwei Fingerbreit. Einen Fingerbreit trank Mayakowski heraus, bevor er es auf das Tablett stellte. Es war scharfer Wodka.
Nachdem er getrunken hatte, verpasste er Quentin eine heftige Ohrfeige.
»Das ist dafür, dass du an dir gezweifelt hast.«
Quentin starrte ihn an. Er legte eine Hand an die Wange und dachte: Der Typ ist ja komplett durchgeknallt. Er könnte hier draußen alles mit uns machen.
Mayakowski blätterte im Buch zurück zur ersten Seite. Dann drehte er das Blatt mit dem Zauberspruch um und tippte darauf. Auf der Rückseite stand ein weiterer Spruch: Bujolds magischer Nagelauszieher.
»Das Ganze noch einmal von vorn, bitte.«
Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln.
Als Mayakowski weg war, stand Quentin auf und reckte sich. Beide Kniegelenke knackten. Anstatt wieder von vorn anzufangen, ging er zu dem winzigen Fenster und blickte hinaus auf die mondgleichen Schneefelder. Die schiere Einfarbigkeit der Landschaft brachte ihn allmählich dazu, Farben zu halluzinieren. Die Sonne hatte sich nicht von der Stelle bewegt.
So verbrachte Quentin seinen ersten Monat in Brakebills Süd. Die Zaubersprüche änderten sich, die Zirkumstanzien waren jedes Mal andere, aber der Raum blieb derselbe und die Tage
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