Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman
Akne und einem Selbstwertgefühl knapp über Nullniveau beschäftigt. Muskeln hätten mich selbstbewusster gemacht, waren dank vegetarischer Ernährung für mich aber unerreichbar. Soweit ich mich erinnern kann, war diese drogenfreie Phase wirklich die schlimmste meines Lebens. Ich nenne sie deshalb „meine verlorenen Jahre“.
Straight Edge
ist Teil der
Hardcore-Punk
-Bewegung.
Hardcore
ist eine extrem heterogene, ideologisch geprägte und elitäre Underground-Musikszene, die sich größtenteils aus Spezialjugendlichen zusammensetzt. Ihren Zenit erlebte sie in den 80ern und 90ern, seitdem schreitet eine zweifelhafte Zersplitterung der Szene voran. Musikalisch betrachtet ist
Hardcore
sowohl eine Melange aus
Punk
und
Metal
als auch deren Essenz: Kompromisslos, aggressiv und reduziert. Gleichzeitig ist
Hardcore Punkrock
Wiege vieler Trends in Sachen Mode und Musik und deshalb fast schon allgegenwärtig — allerdings ohne dass es der breiten Öffentlichkeit bewusst wäre.
Nachdem ich meine drogenfreien Wirrungen überstanden hatte, entstand gegen Ende meiner Jugend die Liebe zum Bodybuilding. Durch Diät, Training und geregeltem Lebensstil den eigenen Körper zu formen, welch faszinierender Gedanke. Jedenfalls wenn man sonst nichts zu tun hat.
Meine fettarme und eiweißreiche Diät aus Thunfisch, Magerquark, Ananas & Co. liefert mir genau das elitäre Gefühl, das ich wohl seit meiner
Hardcore
-Zeit vermisst hatte. Anscheinend bin ich wirklich abhängig davon.
Mein Gott, immer wenn ich kiffe, jagt in meinem Kopf eine Selbstreflexion die nächste …
Ich glaube, der Hang zum Körperkult entstand spätestens in meiner frühen Pubertät. Mit 12 wurden viele meiner Illusionen zerstört: Beispielsweise als mir Klassenkameradinnen eröffnet haben, dass an Jungenarmen tatsächlich Muskeln angesagt seien. Unglaublich kam mir das vor. Daheim habe ich dann vor dem Spiegel meine makellosen, aber knabenhaften Unterarme inspiziert. Schnell wurde mir klar, dass ich diesen Idealen meiner Mitschülerinnen nicht entsprechen konnte. Vielleicht die Geburtsstunde meiner jugendlichen Minderwertigkeitskomplexe.
12 ist wirklich ein tolles Alter. Der erste Handjob, das erste Mal Kloppe … Beim ersten Handjob fragte mich das deutlich ältere Mädchen nach einer Viertelstunde, ob bei mir überhaupt etwas kommen würde. Bei der ersten Kloppe fragte mich der deutlich ältere Junge gleich zu Beginn, was ich als erstes gebrochen haben will.
Versunken in sentimentalen Erinnerungen täuscht mein Kreislauf einen cannabisbedingten Kollaps an. Ich friere. Obwohl dieser so genannte Sommer noch nicht vorbei ist, ist es heute Abend schon ziemlich frisch in meiner Höhle. Mein Gasofen ist ein Relikt aus den 60er Jahren und heizt auch so. Ich wohne ungefähr wie
Spidermans
Alter Ego
Peter Parker
: Genauso abgeranzt, aber ohne den New Yorker Skyline-Blick. Bitte nicht verwechseln: Nicht
Batman
, sondern
Spiderman
— die Fledermaus ist der Millionär, die Spinne der mittellose Physikstudent.
Ich lege andere Musik auf. Musik muss für mich vor allem eines haben: eine Funktion. Für jede Tätigkeit, jede Stimmung und jede Situation gibt es die richtige musikalische Unterstützung. Musik ist nichts anderes als der Soundtrack des Lebens. Und der Soundtrack muss schließlich zum Film passen.
Bei depressiven Verstimmungen landet früher oder später
Type O Negative
auf dem Plattenteller. Und bei Damenbesuch. Oder Liebeskummer. Und zu Rotwein. Und überhaupt.
Nicht, dass hier Missverständnisse aufkommen:
Type O Negative
ist nicht einfach eine einmalige Ansammlung von musikalischen Ausnahmetalenten, die eine anspruchsvolle Nische definiert und auf nie dagewesene Weise durch Genialität ausgefüllt haben.
Type O Negative
ist unverkennbar wie unerreichbar und der brillianteste Beweis dafür, dass gute Bands kopiert werden, aber wirklich große Bands nicht zu kopieren sind. So wie
Black Sabbath
mit Ozzy Osbourne am Mikro. Oder … hm, mehr fällt mir jetzt nicht ein.
Nein,
Type O Negative
ist keine Band, sondern in Schallplatten gepresster Sex.
Die
4 Dicks from Brooklyn
sind die einzige Formation seit den 80er Jahren, die Liebe und Hass mit solcher Wucht in Musik kanalisieren konnte. Düstere Melancholie, die in den überwältigendsten Momenten wie zähflüssige Lava aus den Boxen quillt.
Mit dem Tod von Peter Steele — Charismat, Provokateur, Teilzeitzombie,
Playgirl
-Model und Sänger von
Type O
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