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Filmriss

Filmriss

Titel: Filmriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Buettner
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immer besoffener. Dabei ist es noch nicht mal Abend. Unterm Strich geht alles noch rasanter als beim Bier-Bongo. Da macht man wenigstens Pausen, das hier ist eine endlose Achterbahnfahrt. Der Kick ist der Wahnsinn. In einem Moment denkt man noch, dass alles zu schnell geht, im nächsten ist es nur noch geil. Es macht Klick im Kopf, dann ist alles egal.
    Die Stimmung in der Bude ist irre, die Musik aus der Anlage total laut. Mando Diao , Marlons und meine Lieblingsband. Alle tanzen wie bekloppt, jeder hat Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. Dann geht alles durcheinander. Jeder trinkt, wann er will, egal ob er mit Kickern dran ist oder nicht. Und irgendwann kickert auch keiner mehr. Ein paar Flaschen gehen rum, jeder hängt sich nach Lust und Laune dran.
    Steve ist nicht wieder hochgekommen. Irgendwo hinter den anderen liegt er auf dem Sofa und ist völlig weggetreten. Unglaublich, dass er mitten in dem Lärm pennen kann. Er sieht aus wie betäubt.
    Immer wieder spüre ich bei der Rumtanzerei irgendwelche Hände an meinem Körper, überall. Ich weiß, dass es nicht Marlons Hände sind, aber selbst das interessiert mich nicht mehr. Es ist nicht mehr mein Körper, er fühlt sich ganz fremd an.
    Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich gleich umkippe. Auch das macht mir nichts mehr aus, obwohl ich davor sonst den größten Horror hab. In meinem Kopf dreht sich alles. Zwischendurch krieg ich mich wieder ein, fang mich für ein paar Sekunden vorm nächsten Absturz.
    Hin und wieder trinke ich noch was, keine Ahnung, was es ist. Alle möglichen Flaschen und Dosen sind im Umlauf. Manches schmeckt süß, anderes scharf oder bitter. Vieles geht daneben, auf dem Boden sind Pfützen. Mein Gesicht klebt, meine Klamotten auch. Wir bewegen uns in einer Wolke aus Schweiß, Qualm und Alkoholgestank. Ich rutsche auf etwas Glattem aus, halte mich an irgendjemandem fest, ziehe mich wieder hoch.
    Wenn man zu viel säuft, sieht man angeblich irgendwann weiße Mäuse. Das ist aber nur ein Gerücht. Später hat mir mal jemand erzählt, dass man sie nicht beim Trinken selbst sieht, sondern beim Entzug: »Delirium tremens« nennt man das.
    Eine Erscheinung hab ich trotzdem, und zwar in Gestalt von Friedas Vater, der auf einmal neben mir steht, völlig erstarrt. Erschrocken sieht er aus und sagt kein Wort. Ungläubig glotzt er Frieda an.
    Offenbar hat die nicht dieselbe Erscheinung wie ich, denn sie guckt durch ihn hindurch und tanzt einfach weiter. Immer wieder schreit sie mit schriller Stimme irgendwas. Auch die anderen sehen offenbar nicht, was ich sehe: Keiner reagiert auf den Körper, der mitten im Raum steht wie eine Salzsäule. Er sieht wirklich erschreckend echt aus.
    Dann wird es doppelt unheimlich, denn nun taucht auch noch Friedas Mutter auf. Sie steht auf einmal neben ihrem Mann. Die beiden sehen aus wie riesige Schaufensterpuppen, aber ganz verzerrt wie in einem Spiegelkabinett auf dem Rummel.
    Ich tanze weiter und lege vorsichtig meine Hand auf die Schulter der weiblichen Puppe. Obwohl es die erste Erscheinung meines Lebens ist, ist sie gleich perfekt. Ihre Schulter fühlt sich an wie die eines richtigen Menschen.
    Was machen Sie denn hier?, will ich die Erscheinung fragen, krieg aber kein Wort raus. Unverständlicherweise muss ich lachen. Ich kann gar nicht mehr aufhören.
    Die Gestalt schaut mich entsetzt an, mir wird ganz schwummerig davon. Irgendjemand lacht irrsinnig laut. Es dauert, bis ich merke, dass ich es bin. Wieder will ich aufhören, aber es geht nicht. Mein Gesicht brennt wie Feuer, es tut weh. Jemand ohrfeigt mich, gleich ein paarmal. Das geht doch nicht! Keiner darf mich einfach ohrfeigen. Das ist verboten! Verzweifelt versuche ich zu erkennen, wer es war, aber ich sehe nichts mehr. Ich weiß plötzlich nicht mehr, ob ich liege oder stehe. Dann reißt der Faden, das Licht geht aus, es wird dunkel, stil l … totenstil l …
    Friedas Tagebuch
    Hätte mich vorher jemand gefragt, was Dad macht, wenn er mich in so einer Situation erwischt, hätte ich vielleicht gesagt, dass er mich totschlägt. In Wirklichkeit würde er mich aber unter keinen Umständen anfassen. Das ist eins seiner eisernen Prinzipien, das er auch an diesem Tag nicht gebrochen hat.
    Birte dagegen hat er ein paar geknallt, wenn auch aus anderen Gründen.
    »Hey!«, rief er. »Hierbleiben!«
    Er kniete auf dem Boden, ihr Kopf lag auf seinem Bein. Ihre Augen rollten weg, er klatschte ihr noch mal links und rechts mit der Hand ins Gesicht. Sie

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