Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Filmwissen

Filmwissen

Titel: Filmwissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Seeßlen
Vom Netzwerk:
der immer dann, wenn wir von ihm in einer Entscheidungssituation einen Widerschein kommender Aufklärung erwarten, sich als barbarischer Narr erweist, der seiner Zeit keineswegs voraus, sondern nur ihr perfektes Abbild ist. Die Demontage wird schließlich im dritten Teil des Films, der mit der Landung auf dem neuen Kontinent beginnt, forciert. Columbus begründet ein terroristisches Regiment, und die Menschen, die er dann, um selber Gold und «bekehrte» Wilde nach Spanien zurückzubringen, in «seinem» Reich zurücklässt, versinken in ihrem eigenen Wahn: Der Sohn ermordet den Vater, der Missionar ist ein Wahnsinniger, der Nächstenliebe predigt, während die Matrosen morden und plündern, und Columbus selbst ist der erste, der den «Heiden» auf seiner Rückfahrt das Christentum mit Gewalt beibringt.
    Am Ende wird also der naive Abenteurer – Corraface spielt ihn als einen Mann, der nie die Eleganz, nie das Lachen eines wirklichen Abenteurers hat – als dunkler Herrscher entlarvt, und die «Entdeckung» zeigt sich als Teil eines politischen Kalküls: Während Columbus zu seiner Fahrt aufbricht, werden die Juden aus Spanien vertrieben; die Reconquista, der Sieg des Christentums über den Islam, wird zum Beginn einer neuen Schreckensherrschaft, deren Architekt Torquemada ist. Sollen wir Brandos Grinsen so deuten, dass dieser so törichte wie geniale Seefahrer aus Genua auch dafür gut war, dem Volk, das auf eine neue Form der Unterdrückung vorbereitet wurde, ein Schauspiel zu liefern?
    Die Gegenüberstellung von Torquemada als Vertreter der alten Ordnung und Columbus als dem Repräsentanten der «neuen», nämlich kolonialen Ordnung, die beide mindestens ebenso viel verbunden wie getrennt haben muss, hätte in der Tat spannend werden können. Aber Glen begnügt sich mit Andeutungen; er liefert Teile eines Puzzles und liebt krasse Übergänge: Torquemada zeigt Columbus die Instrumente der Folter, der Kartograph ist ebenso nah am Ruhm wie daran, als Ketzer gefoltert und getötet zu werden. Schnitt: Christopher verführt seine Geliebte. Diese Unbekümmertheit wird er nicht verlieren, auch nicht im Angesicht des Todes.
    Am Ende ist Columbus wirklich zurückgekehrt in seine Zeit; er hat das Meer mit Blut gefärbt, die rote Fahne seines Landes am Strand gepflanzt; die Reise führte in der Tat nicht in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit. Die parallele Entwicklung der Handlungen von Rückkehr und Aufnahme in Spanien sowie Zerfall und Massaker in der Kolonie zeigt anschaulich das, worüber wir auf der «politischen» Ebene so wenig erfahren: Die Fahrt von Christopher Columbus hat nicht der Zukunft ein Tor geöffnet, sondern sie zerstört. Insofern hätte sich Glen ganz gut aus der Affäre gezogen, indem er statt des historisch-mythischen Kompromisses das Widersprüchliche zeigt. Allerdings fehlen dem Film zuweilen Konzentration und Kraft, man merkt ihm Zeitdruck an, die Stars bleiben zu sehr Gäste und Zitate und zerstören dadurch eben den Eindruck, der Columbus erklären könnte: die innere Geschlossenheit seiner Zeit, die allen Menschen gemeinsame seelische Beschränktheit, der die Santa Maria nicht entkommen, sondern sie in alle Welt tragen sollte.
    Nur den Wettlauf um die Zeit, nicht den um Publikumsgunst und kritische Beachtung konnte diese 50 Millionen-Dollar-Produktion, die zwei Monate vor der Konkurrenz auf den Markt kam (Hauptdarsteller Timothy Dalton und Regisseur George Pan-Cosmatos waren kurz vor Beginn der Dreharbeiten abgesprungen, was nicht eben zur Konzentration des Projektes beigetragen hatte), gegen das andere ehrgeizige Film-Unternehmen zum «Columbus-Jahr» gewinnen. Ridley Scotts 1492 – The Conquest of Paradise ( 1492 – Die Eroberung des Paradieses ; 1992) mit Gérard Depardieu ist
    «eher ein Stück freier Phantasie als historische Rekonstruktion. Womöglich war Columbus ja ein saft- und kraftstrotzender Kerl wie Gérard Depardieu, ein jähzorniger Brocken von Mann, der seinem idealistischen Traum von der neuen Welt, darin Reichtum und menschliches Mitgefühl vortrefflich gedeihen, mit wütender Energie durchzusetzen suchte. Wir wissen es nicht. Ansonsten aber vereinfacht der Film jenes komplexe Geflecht aus spanisch-höfischen Großmachtinteressen, aus dem Umbruch vom religiösen zum wissenschaftlichen Weltbild und der keineswegs von Columbus allein gehegten nautischen Phantasie, einen westlichen Seeweg nach Indien zu finden.» (Hans-Joachim Neumann)
    Nur wenig geht es dem Film um die

Weitere Kostenlose Bücher