Filmwissen
greift auch noch die gütige Mutter des Adeligen ein. Der Film entstand nach einem Stoff von Pierre C. de Marivaux (1688–1763), ist aber eher wie eine Film-Version des unter dem Begriff «Historicals» populären Genre der Massenliteratur der achtziger und neunziger Jahre gefertigt, in dem es um die alten Aschenbrödel- und Prinz-heiratet-Magd-Geschichten in historisierendem Gewand geht.
Jean-Paul Rappeneau schuf eine neue Version von Cyrano de Bergerac ( Cyrano de Bergerac ; 1990), eine der teuersten französischen Filmproduktionen bis dahin. Gérard Depardieu spielt darin den genialischen Poeten mit dem schnellen Degen und der langen Nase, der für seinen Freund, einen jungen Offizier aus seinem Regiment, die Liebesbriefe an die Angebetete Roxane (Anne Brochet) schreibt, die er selber liebt. (José Ferrer hatte die Figur in der klassischen Hollywod-Version gespielt, Steve Martins stellte sie in der modernen Variante in Roxanne von Fred Schepisi dar.) Der Film war insofern ein gewagtes Unternehmen, als sein Dialog, der Bühnenvorlage von Edmond Rostand aus dem Jahr 1897 entsprechend, in Versen gehalten war. Neben den Stars bot der Film freilich einen enormen Aufwand: 2.000 Darsteller mit den entsprechenden Kostümen und Waffen, 40 Dekorationen und 100 Millionen Francs Budget.
«Der Film ist Heldenepos, wenn Cyrano durch den Nebel zur Schlacht mit hundert Gegnern zieht (wenn er kämpft, verlangsamt sich das Bild; Cyrano soll unsterblich werden); Schauspiel, wenn der dichtende Bäcker um die Verse trauert, mit denen seine Frau die Backwaren verpackt; er ist Kriegsabenteuer, sentimental und melodramatisch. Rappeneau politisiert nicht, er philosophiert. Über die Möglichkeit der Individualität, über die Tragik des Lebens, hervorgerufen durch Äußerlichkeiten, über die Angst vor der Liebe und die Überheblichkeit: urmenschliche, einfache Fragen: Fragen, die längst geklärt erscheinen. dass sie es nicht sind, erkennt man daran, dass der Film berührt.» (Rüdiger Schmitz-Normann)
Rappeneau zeichnet auch für die bislang teuerste französische Filmproduktion verantwortlich (das Budget des Films, dessen Dreharbeiten ein halbes Jahr in Anspruch nahmen, belief sich schließlich auf 176 Millionen Francs): Le Hussard sur le toit ( Der Husar auf dem Dach – 1995). Es entstand eine in schönen Bildern aus der Provence etwas gemächlich und doch anmutig dahinfließende Giono-Verfilmung (der Roman erschien 1951) um die Flucht eines Husaren (Olivier Martinez) und einer Aristokratin (Juliette Binoche) durch das von politischen Kämpfen und von der Cholera heimgesuchte Land. Angelo Pardi (Martinez) flieht vor den österreichischen Besatzern in die von der Seuche bedrohte Provence, wo er sich von dem Elend so schockiert zeigt, dass er sich selbstlos für die Kranken einsetzt. Aber weil er von der Bevölkerung für einen Brunnenvergifter gehalten wird, muss er über die Dächer der Stadt Manosque fliehen, und steigt, vom Hunger geplagt, in eines der Häuser, wo ihn Pauline de Théus (Binoche) freundlich bewirtet. Später trifft er die Frau, die auf der Suche nach ihrem Mann ist, in einem Zeltlager wieder, und er begleitet sie. In beiden wächst ein Gefühl, das über Sympathie hinausgeht, das sich aber nicht erfüllen darf.
Der Zauber dieser Geschichte mag gerade darin liegen, dass sie sich nicht «erfüllt »; es ist ein Film voller Möglichkeiten, Andeutungen und Widerhalle. Das Bild des Husaren auf dem Dach zeichnet den Helden nicht mehr als den lachenden Draufgänger, sondern als einen, der buchstäblich zwischen Himmel und Erde balanciert. Und vielleicht beschreibt nichts besser als dieses Bild den Status der Kino-Phantasien zu unserer Zeit.
1995–2012: Abenteuer im Irrealis
Indiana Jones und seine Epigonen
Während andere unsterbliche Helden der populären Mythologie sich durch Neubesetzungen oder gleich einen «Relaunch» verjüngten, durften wir einem Kerl mit Lederhut und Peitsche beim Älterwerden zusehen: Indiana Jones alias Harrison Ford kehrte zwanzig Jahre nach seinem letzten Abenteuer, in dem ihm sein Vater – alias Sean Connery – zur Seite gestanden hatte, auf die Leinwand zurück. Und nicht nur in seiner körperlichen Erscheinung, auch im Hintergrund der Aktionen ist das Herrschen des Chronos abzusehen. Die Zeit, in der sich der abenteuerliche Archäologe vor allem mit Nazis und ihren Verschwörer-Helfern herumschlagen musste, ist in Steven Spielbergs Rückkehr zu seinem nostalgischen Pulp
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