Filou: Ein Kater sucht das Glück - Roman (German Edition)
benötigt hätte. Die Prügel steckten die vier Burschen ein, die sie soeben mit mächtigen Tatzenhieben in die Flucht geschlagen hatte.
»Ihr seid doch zu nichts nütze, ihr schwarzen Hohlköpfe«, schrie sie ihnen hinterher.
Filou ergriff die Chance und machte sich davon. Am besten lief er in weitem Bogen nach Hause zurück, in der Hoffnung, dass sie sich bis dahin abgeregt hatte. Noch immer verblüffte ihn die schiere Unverfrorenheit, mit der sie ihn ausgenutzt hatte – aber mehr noch seine unendliche Blödheit, die ihn gehindert hatte, ihr Spiel zu durchschauen.
Gedankenverloren wäre er in der Ruelle des Camisards beinahe in sein nächstes Unglück gestolpert. Es war, als ob heute alle Albträume auf einmal Wirklichkeit werden wollten.
Der schwarze Dobermann war frei. Er stand vor seinem Gehege auf dem Bürgersteig, ohne Halsband und Leine, und sein Herrchen war nirgendwo zu sehen.
Filou vollführte eine Vollbremsung. Hinter ihm Lucrezia, vor ihm der Höllenhund – fliegen müsste man können.
Und tatsächlich: Irgendetwas flog an ihm vorbei, eine fauchende, spuckende graue Kugel aus gesträubtem Fell und ausgefahrenen Krallen. Der Dobermann jaulte auf, als ihn der erste Tatzenhieb auf die empfindliche Nase traf. Der zweite traf ihn am Ohr. Den dritten wartete er nicht mehr ab und floh mit zwischen die Hinterbeine geklemmtem Schwanz durch das offen stehende Gartentor zurück in sein Revier.
Filou stand da und staunte.
»So«, sagte Lucrezia und ordnete sich das Fell. »Und jetzt du.« Sie duckte sich.
»Also das – das war einfach großartig!« Filou neigte den Kopf vor ihr.
Lucrezia fauchte.
»Das war heldenhaft.«
Lucrezia knurrte.
»Du hast mir das Leben gerettet.«
Lucrezia knurrte nur noch halbherzig und richtete sich langsam auf. »Wäre ja nicht das erste Mal gewesen«, brummte sie.
»Aber wieso hast du mir die ganze Zeit …«, etwas vorgemacht, wollte er fragen. Wieso hast du so getan, als ob du alt und schwach und zahnlos wärst?
Doch Luc starrte ihn warnend an. »Stell keine blöden Fragen, dann kriegst du auch keine dummen Antworten«, zischte sie, drehte sich um und stakste hinkend von dannen.
Im Weggehen murmelte sie, gerade so laut, dass er es noch hören konnte: »Wie hätte ich dir sonst beibringen sollen, wie man überlebt, he?«
FÜNFZEHN
F ilou ließ sie ziehen – und genoss für Minuten das Gefühl, frei zu sein, frei von jeglicher Verantwortung für andere. Doch das hielt nicht lange vor. Sicher, er hatte gelitten unter Luc und ihren Launen und unter alledem, was sie im Nachhinein als Erziehungsmaßnahmen in seinem Interesse hinstellen wollte. Dennoch glaubte er sich verpflichtet, sie an seinem Glück teilhaben zu lassen.
Denn sein Glück bestand aus mehr als freier Kost. Sein Glück war ein kleines blondes Mädchen mit braunen Augen. Sein Glück war, gestreichelt und gehätschelt zu werden, nach Bällchen und nach Mäuschen zu springen, sich im Garten in der Katzenminze zu rollen und zu suhlen, unter dem Mimosenbaum einzudösen und von der hellen Stimme Marlas und ihren magischen Worten geweckt zu werden – Passiflora caerulea … Lavandula augustifolia …
Luc sollte wenigstens etwas von diesem Glück abbekommen – den Teil, von dem sie etwas verstand: Essen.
Marla schien ebenso zu denken. Bei seinem nächsten Besuch, nach einem ausgiebigen Spiel mit Bällchen und Mäuschen, fütterte sie ihn wieder aus einer dieser geheimnisvollen Dosen. Und diesmal hatte sie noch eine zweite dabei. Obwohl er verlangend maunzte, öffnete sie die Dose nicht. Sie stellte sie ihm vor die Pfoten.
»Ich weiß nicht, wohin du all das Futter bringst, das du stibitzt. Aber ich möchte nicht, dass du stiehlst, verstanden? Stehlen ist eine Todsünde.«
Filou war verwirrt. Was meinte sie? War die Dose nun für ihn oder nicht?
»Und weil ich nicht will, dass du dich versündigst, gebe ich lieber freiwillig, was ich habe«, sagte Marla feierlich. »›Geben ist seliger denn nehmen‹, sagt unser Pfarrer.«
Sie straffte sich und strich sich die Haare hinters Ohr. »Vielleicht studiere ich Theologie, wenn ich groß bin.«
Der Pfarrer muss ein netter Kerl sein, dachte Filou, und senkte den Kopf, um sich tätscheln zu lassen. Und Theologie war gewiss eine feine Sache.
Marla zupfte ihn an den Ohren. »Wenn du bei uns einziehst, musst du nicht mehr stehlen.«
Wie gerne er das täte. Aber da war Lucrezia. Und die Pflicht. Er duckte sich unter ihrer Hand und nahm die Dose zwischen die
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