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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Reategui
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Giacomo lehnte sich zurück.
    Â»Verzeiht, darf ich probieren?« Anna wartete eine Antwort gar nicht erst ab. Sie öffnete geschickt das Fläschchen, das Dalmonte vor sie hingestellt hatte, und roch. Dann sprang sie auf.
    Â»Ich bin sofort wieder da«, rief sie und verschwand nach draußen.
    Als sie wieder zurückkam, winkte sie mit einem Stoffpäckchen in der Hand.
    Â»Das ist der Duft des Aqua mirabilis von Feminis. Ihr erinnert Euch, Herr Dalmonte, wir haben damals festgestellt, dass es wahrscheinlich dieselben Ingredienzien hat wie das von Farina. Und jetzt riecht mal hier dran!«
    Das Fläschchen und die Scherben im Tuch wanderten von Hand zu Hand. Jeder schnupperte, roch, schnüffelte. Ein leichter Fichtennadelölgeruch entströmte der Rosoli, schwach, aber deutlich. Frau Gertrude gab einen winzigen Tropfen aus der geöffneten Flasche auf den Handrücken und saugte ihn geräuschlos auf.
    Â»Es ist anders als der Duft hier auf dem Stoff. Und schwächer«, urteilte sie dann.
    Â»Es ist das Aqua mirabilis des Dottore.« Giacomo konnte sich die Bemerkung nicht mehr verkneifen. Crotoni musste die Fläschchen über den Brühler Mittelsmann bekommen haben, den er angeworben hatte. Aber das sagte er lieber nicht.
    Â»Also ist sogar Crotoni auf das falsche Wasser hereingefallen. Oder ich vielleicht auf Crotoni?« Dalmonte lachte, bis ihm die Tränen kamen.
    Â»Eines ist klar«, prophezeite er. »Wenn sie diesen sauberen Dottore nicht dingfest machen, dann werden auf Farina schwere Zeiten zukommen.«

SIEBENUNDZWANZIG
    Gut, dass ich von allen Papieren immer eine Abschrift gemacht habe, dachte Anna, als sie am nächsten Tag eine Liste der zerstörten und der geretteten Warenbücher, Rechnungen und Lieferscheine erstellte. Sie verglich sie mit den Kopien, die der Spediteur im Keller neben dem Warenlager aufbewahrte. Sie würde mehrere Tage brauchen, um die Kopien noch einmal zu kopieren, aber es hätte schlimmer kommen können. Es hätte aber vielleicht gar nicht so weit kommen müssen, wenn Matthias und Severin nur ein Quäntchen aufmerksamer gewesen wären. Der eine hatte geschlafen, und der andere, der gerade dran war mit Wachehalten, war mit seinen Gedanken sonst wo gewesen. Erst das Gekreische des Papageis hatte ihn aufgeschreckt. Anna wollte nicht in Severins Haut stecken. Wenn das ganze Haus abgebrannt wäre, wäre er seines Lebens nicht mehr froh geworden. Jetzt arbeitete er doppelt, um den Schaden wiedergutzumachen.
    Alle Fenster und die Eingangstür standen weit auf, trotzdem roch es im Vorhaus unangenehm nach Putzmittel und Ruß. Es würde dauern, bis der Geruch verschwunden war. Sie wollte nachher Frau Gertrude um ein paar Lavendelsäckchen bitten. Draußen jagten sich Kinder mit lautem Geschrei um die Stipen des Hauses »Zur gelben Lilie«. Dort hatte er gestanden. An einem Freitag wie heute. Nur dass es damals Bindfäden geregnet hatte und heute strahlender Sonnenschein herrschte. Die Welt könnte nicht schöner sein.
    Sie hatte ihn im Hof gesehen, wie er mit Bonifaz an vom Brand beschädigten Möbeln arbeitete. Anna entkorkte die Rosoli, die Herr Dalmonte mitgebrachte hatte, und sog tief den würzigen Duft ein. Das Odeur von Neroli und Bergamotte. Ein Hauch von Neroli. Und von Fichtennadelöl. Echt oder unecht, es war ihr egal. Sie rieb sich zuerst die Stirn mit dem Wasser ein, dann den Nacken.
    Janne musste ihr sagen, wo auf ihrem Körper sie sonst noch das göttliche Aqua mirabilis verteilte.
    Die Hexe fiel ihr ein. Sie sei keine Hexe, nur ein bisschen wundersam, hatte Janne immer gesagt. Vielleicht. Denn eine Hexe hätte sich ja wohl nicht geirrt. Nicht ein schöner Mann war ihr beinahe zum Verhängnis geworden, sondern ein unscheinbarer. Und nicht nur ihr. Von Merzen sah so alltäglich aus, dass sie sich noch immer alle wunderten, was in seinem Kopf vorgegangen war. Giacomo dagegen … Sie schloss die Augen und sah ihn vor sich. Er war … nicht unschön. Obwohl er viel zu dünn war. Vorsichtig verschloss sie die Flasche wieder, kein noch so kleiner Tropfen sollte dieses Mal verloren gehen. Vielleicht würde sie das Wasser eines Tages brauchen. Der Dottore war ein Betrüger, aber er verstand sein Handwerk.
    Auf der Empore öffnete sich die Tür des Kontors.
    Frau Gertrude kam mit dem Frühstücksgeschirr herunter. Der Morgenkaffee der Eheleute hatte

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