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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Reategui
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Vogel so gute Ohren hat«, bestätigte der Brandherr. »Ich habe schon einmal von einem Fall gehört, wo eine Gans ihrem Besitzer das Leben rettete.«
    Â»Er wird eine Portion Nüsse extra bekommen«, gelobte Anna und schwor sich, Matthias und Severin zur Rede zu stellen.
    An der Haustür klopfte es, Anna zuckte zusammen. Sie war zu schreckhaft geworden.
    Es war Simon Kall, die beiden Wachtleute folgten ihm auf dem Fuß, und sie schoben nicht eben sanft einen Kerl vor sich her, der an Händen und Füßen gefesselt war.
    Â»Der andere ist uns entwischt«, berichtete ein Wachtmann. »Als wir von unserer Patrouille gerade wieder nach vorn zum Filzengraben kamen, sprang der hier …«, er trat dem Gefangenen in die Hacken, sodass dieser mit einem Schmerzensschrei zu Boden ging, »… gerade aus dem Fenster, während sein Kompagnon schon davonsauste. Dummerweise rannten beide in verschiedene Richtungen. Dann sahen wir, dass es im Haus brannte, was sollten wir zuerst machen? Wir waren ja nur zu zweit. Also alarmierte der Köpges die Brandknechte, und ich hab den Schuft hier verfolgt. Und hab ihn erwischt, als er am Malzbüchel einer Nachtpatrouille in die Arme gelaufen ist.« Wieder stieß er dem Gefangenen seinen Stiefel zwischen die Rippen.
    Â»Ihr habt also die Diebstähle begangen und Tilmans Tod auf dem Gewissen! Und den des Journalschreibers und des kleinen Moritz?« Simon Kall herrschte den Gefangenen an, aber der schwieg.
    Â»Warte nur, wir kriegen dich, und wenn du noch so stumm bist. Anna, wo ist dieser Giacomo? Er wird den Kerl hoffentlich wiedererkennen.«
    Sie fand ihn in der Küche. Er saß am Tisch und fütterte den Papagei mit getrockneten Pflaumen. Seine Hände waren dick verbunden. Nur die Finger lugten aus dem Verband heraus.
    Â»Es ist gar nicht so schlimm«, murmelte er, als Anna ihn fragend ansah.
    Â»Red keinen Unsinn«, unterbrach ihn Johanna. »Er hat tiefe Schnitte in den Händen, weil er ununterbrochen Wasser geschöpft und das Seil sich ins Fleisch geschnitten hat. Und jetzt iss, um Himmels willen, sonst fällst du mir gleich noch mal um!«
    Â»Nein«, widersprach Anna. »Wir brauchen ihn.«
    Â»Kastert«, sagte Giacomo, als er den Gefangenen auf dem Fußboden liegen sah. Der funkelte ihn böse an.
    Â»Du Schlange, wenn ich dich erwische …«, zischte er.
    Anna bewunderte Giacomo um seine scheinbare Gelassenheit.
    Â»Das ist der Mann, den Tilman beschrieben hat«, sagte Giacomo wieder, »… der Mann mit dem seltsamen Gang. Der das Kind vom Schiff in den Rhein geworfen hat, der oder der andere. Oder beide zusammen. Es war unschuldig, dieses Kind«, schrie er plötzlich, und bevor die anderen begriffen, was geschah, begann er wie ein Wahnsinniger auf Kastert einzuschlagen. Die Schläge prasselten auf den Mörder. Giacomos Arme fuhren herab mit der Kraft eines Schlaghammers. Es kostete die Umstehenden Mühe, ihn von dem Gefangenen wegzuzerren.
    Â»Es konnte doch nichts dafür, es war doch noch so klein«, schrie Giacomo noch einmal in den Raum hinein. Dann sackte er in sich zusammen. Seine Schultern begannen zu zittern, der ganze Körper bebte. Die anderen schauten hilflos drein, selbst Kastert starrte den jungen Lombarden mehr ungläubig als wütend an.
    Â»Es war Diedrich von Merzen, der uns dafür bezahlt hat«, sagte er in die Stille hinein.

SECHSUNDZWANZIG
    Das Kind schreit. Schrill und durchdringend hallt sein Kreischen durch die tief hängenden Wolken. Die mageren Fingerchen umklammern das dunkle Brot, bohren sich in den runden Laib. Sein Kinn zittert, der ganze kleine Körper bebt. Für einen kurzen Augenblick japst es nach Luft, dann heult es weiter und brüllt, dass es die Leute unten im Tal hören müssten.
    Der große Bruder hat kein Mitleid mit dem Kleinen. Das Brot will er. Das Brot, das Mutter gestern unten in Druogno gebacken hat. Ein Festtag ist es gewesen. Die Frauen haben beisammen gesessen und gelacht wie selten, die Kinder sind ums Backhaus getollt und wurden nicht gescholten. Überall in den Gassen hing der Duft der frisch gebackenen Pani neri. Ein Duft, nach dem sich Giacomo das ganze Jahr über sehnt. Einen Laib nach dem anderen hat die Mutter aus dem Ofen gezogen und in ihre zwei großen Körbe geschichtet. Giovanna und er haben sie huckepack den Berg hochgeschleppt und die Brote in den Holzständern

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