Finale auf Föhr
scheint ja verschwunden. Völlig unklar, ob er zur Opfer-oder Täterseite gehört. Ein Familiendrama ist nicht auszuschließen, und dann erscheint der sogenannte Mord vielleicht in einem anderen Licht.«
»Absolut richtig, aber wir wissen einfach noch zu wenig. Schaut zu, dass ihr den findet. Hör mal, ich muss jetzt Schluss machen, gleich ist Besprechung beim Präsidenten. Falls wir was Brauchbares zusammenkriegen, erfährst du’s. Aber nur inoffiziell, damit das klar ist!«
Asmussen nickte. Das konnte sein Kollege natürlich nicht sehen – die Ära des Bildtelefons war in seinem Büro noch nicht angebrochen. »Selbstverständlich. Ich danke dir einstweilen, und viel Erfolg. Würde mich übrigens wirklich freuen, dich mal bei uns auf der Insel zu sehen. Lass von dir hören und mach’s gut!« Peter van Aertsen dankte und legte auf.
Asmussen stand auf. Es war einiges einzuleiten, der Empfang der Kieler Kollegen, eine erste Befragung im Yachthafen, vor allem die Suche nach dem Boot.
Belohnung genug
Carl trat aus der Tür des Kurmittelhäuschens, streckte sich ein wenig und blinzelte in die Nachmittagssonne. Jetzt begann die schönste Zeit, es war schon nicht mehr ganz so heiß. Er würde noch einmal ans Meer gehen und die Füße ins Wasser tauchen.
Sicher zum zehnten Mal betrachtete er die Tafel mit den extrem nüchtern formulierten Badeinformation zum Badestrand der Gemeinde Utersum auf Föhr. Es war darauf nichts Neues zu entdecken. Eine Horde Kinder kreischte unter der kalten Stranddusche, der Spielplatz zur Rechten war leer. Er ging den Weg Richtung Strand hinunter. Vor der kleinen DLRG-Hütte mit der Information über Wasser-und Lufttemperatur entdeckte er eine nicht unbekannte Gestalt. Das lange rotblonde Haar und die Figur, die ihn vor wenigen Stunden so beeindruckt hatte ... das konnte nur Caroline – wie hieß sie noch? – Schweiger sein! Sie trug ein naturfarbenes Leinenkleid, die Sandalen hatte sie in der Hand. Gerade verließ sie den mit Holzbohlen belegten Pfad, wandte sich zu einem Strandkorb in der Nähe und kniete dort nieder.
Carl zögerte. Sie hatte ihn nicht gesehen. Es gab nun zwei Möglichkeiten. Er konnte zu ihr gehen oder weiterschlendern, sicher die klügere der beiden Optionen. Aber nicht immer folgte die Seele dem Verstand. Und so stand er auf einmal neben der Frau, die offensichtlich im Sand etwas suchte. »Haben Sie etwas verloren?«, fragte er. – Wie plump! Verdammt! Das sah doch ein Blinder mit Krückstock, dass sie hier keinen Schatz vergrub!
Sie sah auf, ihr Blick traf ihn. Diese Szene würde er später in Worten beschreiben, die einer anderen Zeit entlehnt werden mussten. Von solchen Momenten gab es wenige nur in einem Menschenleben. Manchmal ändern sie es grundlegend, manchmal hinterlassen sie nur Sehnsucht und Schmerz. Ja, dafür war Carl Experte mit seinen gescheiterten himmelsstürmenden frühen Lieben. Und diese Erfahrungen waren es auch, die ihm halfen, sich jetzt nicht ganz zum Narren zu machen.
»Hallo!«, sagte sie nur und stand auf, sah ihn erneut an.
»Ich kann Ihnen helfen«, bot er an, »was suchen Sie denn?«
»Ich habe einen Ohrring verloren. Das kann nur hier gewesen sein. Nach unserem gescheiterten Wattspaziergang haben wir uns noch diesen Strandkorb gemietet und ausprobiert. Als wir in die Ferienwohnung kamen, war der Ohrring weg. Ich bin sicher, er ist hier irgendwo.«
»Wie sieht er denn aus?«, fragte Carl. Sie drehte den Kopf etwas zur Seite und schob das Haar zurück, sodass er an ihrem rechten Ohr das Pendant des verloren gegangenen Schmuckstücks betrachten konnte, ein altmodisch anmutendes kleines goldenes Gehänge mit einem wertvoll aussehenden Stein in der Mitte. Sie hatte schön geformte, nicht zu große Ohren. »Ein Familienerbstück?« fragte er.
Sie nickte. »Von meiner Mutter, die hat es von ihrer Mutter, und die wahrscheinlich auch schon von ihrer Mutter geerbt. Das Einzige, was uns an Besitz aus dem Weltkrieg geblieben ist. Es wäre furchtbar, wenn er weg wäre. Der liegt bestimmt irgendwo im Sand um den Strandkorb.«
»Also los!«, sagte Carl forsch, kniete sich hin und begann den Sand mit den Händen durchzusieben. Eine Viertelstunde später hatten sie immer noch nichts gefunden. Ratlos sahen sie sich an. »Vielleicht hat ihn jemand gefunden und zum Haus des Gastes gebracht«, meinte Carl schließlich.
»Nein, da war ich vorhin schon«, antwortete sie.
»Tja, was nun?« Carl setzte sich auf den Boden. Der Rücken schmerzte,
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