Finale auf Föhr
zurück zum Eingang.
Der junge Mann öffnete die Tür und sah sie fragend an. Knapp zwanzig Jahre alt mochte er sein. Groß und schlank, schulterlange dunkle Haare, braune Augen, dichte schwarze Brauen. Unauffällige, gut proportionierte Nase. Kein Bart. Sehr gut aussehend, leicht südländischer Typ, garantiert Schwarm aller Mädels. Ina war durchaus beeindruckt.
»Guten Tag. Ich bin Polizeihauptmeister Jörn Peters von der Polizeistation in Wyk. Das ist meine Kollegin Ina Meyer. Können wir hereinkommen?«
Zögernd gab ihnen der junge Mann – er hatte sich als Leon Siewering vorgestellt – den Weg in das Innere der Villa frei. »Außer mir ist aber niemand da. Worum geht es denn?«
Ina ließ den Blick über die Einrichtung des Windfangs und des Flures streifen. Gediegen, das war das passende Wort. Wie geleckt. Kein Stäubchen, nichts lag herum, keine Zeitschrift, kein Paar Schuhe irgendwo, nichts. Wie im Museum. Sie betraten das Wohnzimmer, den großen Raum mit der Doppeltür zur Terrasse. Schwere weißlederne Sitzmöbel. Rot-hellbraun gemusterte Vorhänge. Großer niedriger Glastisch, eine riesige Bücherwand mit repräsentativen Büchern. Ockerfarbener, edler Teppich. Ein Fleck, und der ist ruiniert, kompensierte Ina in Gedanken ihren Sozialneid. Der junge Mann bat sie, Platz zu nehmen, und setzte sich selbst in eine Ecke des Sofas. Gute Manieren, das war Ina von den Vertretern ihrer Altersklasse nicht unbedingt gewohnt. Er sah sie aufmerksam an.
Jörn Peters kam ohne Umschweife zur Sache: »Uns führt leider etwas sehr Unangenehmes zu Ihnen. Heute Morgen wurde ein etwa 80-jähriger Mann tot aufgefunden. Aufgrund einer Aussage müssen wir leider davon ausgehen, dass es sich um den Reeder Hermann Siewering aus Hamburg handelt. Ich nehme an, Sie sind mit ihm verwandt?« Ein wenig mehr Mitgefühl in der Stimme wäre wohl angemessen gewesen, fand Ina.
Der junge Mann sah ihn aus schreckgeweiteten Augen an. Seine Hände verkrampften sich im Schoß. »Das ist ... das muss mein Großvater sein«, brachte er stockend heraus. »Was ist denn passiert?«
Peters berichtete ihm, wie der Tote am heutigen Morgen von einer Wattwanderergruppe gefunden worden war und dass ihn jemand erkannt hatte. Um sicherzugehen, solle ihn ein Angehöriger der Familie identifizieren. Dazu müsse dieser nach Husum.
»Mein Vater ist aber nicht da«, sagte Leon Siewering, »er ist gestern zusammen mit meinem Großvater mit dem Boot rausgefahren. Was ist mit meinem Vater?«
»Tut mir leid«, informierte ihn Peters, »das war uns bis jetzt nicht bekannt. Sie haben heute noch keinen Kontakt zu Ihrem Vater gehabt?«
»Nein, und gestern übrigens auch nicht. Aber ich versuch das gleich mal. Ich ruf ihn auf dem Handy an.« Leon Siewering ging hinaus und kam mit einem Mobiltelefon zurück. Er wählte eine Nummer aus dem Verzeichnis und blickte auf das Display. Es tat sich nichts. »Es nimmt keiner ab!«, stellte er fest, sichtlich beunruhigt. »Was kann nur passiert sein? Ich versteh das nicht. Gab es einen Bootsunfall?« Peters gab zu, dass sie auch das nicht wussten.
»Es tut mir furchtbar leid«, entschuldigte sich Peters schon wieder, »aber das kann ich Ihnen nicht ersparen. Jemand aus der Familie muss mitkommen nach Husum und den Toten identifizieren. Sind Sie denn allein? Was ist mit Ihrer Mutter, ist sie auf Föhr, oder sonst jemand?«
»Ja, meine Mutter – also meine Stiefmutter – ist da und meine Schwester auch. Die sind beide irgendwo auf der Insel unterwegs, kommen aber bestimmt bald nach Hause. Meine Stiefmutter wollte zum Friseur, meine Schwester ist irgendwo mit ihrem neuen Freund auf Achse, ich weiß aber nicht wo. Ich könnte sie anrufen.« Ina hoffte, er würde sie erreichen, der Arme! Die Leiche sollte ja nicht so gut aussehen.
Aber Peters ließ ihn nicht telefonieren. Noch nicht. Waren das alle Hausbewohner? Ja, die Haushälterin wohne hier ja nicht, war aber eigentlich ständig da, jedenfalls, wenn einer von der Familie im Haus war. Dies hier sei ja mehr ein Ferienhaus. Die Frau komme von der Insel. Ina notierte ihren Namen. Iversen, Arfst Iversen – offenbar auch einer der alten friesischen Vornamen, nicht totzukriegen, konnte kaum einer der Nicht-Friesen flüssig aussprechen. Aus Wyk. Die Adresse hatte der junge Mann nicht. Er wisse nur, dass ihre Telefonnummer in ihrem Telefonregister gespeichert sei.
»Würden Sie jetzt bitte versuchen, Ihre Mutter anzurufen?«, bat Peters ihn. Ina bemerkte ein kurzes Flackern
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