Finale auf Föhr
Sie!« Renata und Carl kamen nicht darauf, obwohl es auf der Hand lag. Die Zahl ihrer gemeinsamen Bekannten war schließlich äußerst begrenzt. Schließlich gab er seine Erkenntnis preis: »Der Wattführer! Hans-Jürgen Hansen war damals ein junger Bursche, Sohn eines Fischers. Mit siebzehn ging er zur Marine. Da wurde er nur kurz ausgebildet und kam sofort auf eines der Vorpostenboote. Die Seemannschaft musste man ihm ja nicht beibringen. Das Boot wurde an einem frühen Morgen kurz vor Kriegsende vor Amrum angegriffen und versenkt. Er hat als Einziger überlebt. Alle anderen sind umgekommen. Einige davon waren auch solche Jünglinge des letzten Aufgebots wie er selbst. Ein anderer, der Kapitän des Bootes, hat Frau und Kind hinterlassen.«
»Haben Sie herausbekommen, wer das war, also wer Frau und Kind waren, ob die noch leben?«, fragte Renata. Schweiger schnurrte förmlich. »Allerdings! Die Frau ist kurz nach dem Krieg gestorben. Wahrscheinlich aus Kummer. Und dann die Entbehrungen in der Nachkriegszeit. Der Wattführer hat mir das erzählt. Übrig geblieben ist das Kind, ein kleiner Junge, der kam ins Waisenhaus. Er lebt heute wieder auf der Insel und ist Fährkapitän. Petersen heißt der. Leider bin ich an den nicht rangekommen, ich hab’s ein paar Mal versucht. Der hat sich geweigert, mit mir zu sprechen.«
Carls Gedanken überschlugen sich. Angriff – Verrat – Waisenkind ... Irgendwie, irgendwie könnte das zusammenpassen. Ihm kam ein Gedanke. Er unterbrach Schweiger, der gerade von einem schwierigen Gespräch mit einem Insulaner berichtete, den er nur mit Mühe habe verstehen können: »Ist der Name des Verräters auf Sylt bekannt, der Name des deutschen Offiziers?«
Schweiger bedauerte. Nein, das habe er nicht ermitteln können. In den britischen Geheimakten sei die Identität des Offiziers verschlüsselt gewesen, und an den Klarnamen habe er nicht herankommen können. Da hätten ihn die Archivmitarbeiter höflich, aber bestimmt abgewiesen. Geheim bleibt geheim, Datenschutz bleibt Datenschutz!
»Haben Sie denn in den deutschen Archiven, also vor allem im Militärarchiv Potsdam, oder über die ehemalige Wehrmacht-Auskunftsstelle in Berlin, nichts gefunden? Man müsste ja doch feststellen können, wer damals auf der Insel stationiert war«, regte Renata an.
»Nein, so tief bin ich da nicht eingedrungen. An sich lenkt das von meinem Thema ab, obwohl das natürlich eine interessante Story ist. Aber ich müsste da zu viel Zeit investieren, das kann ich im Moment nicht.«
Ja, das war verständlich. Schweiger bat aber darum, das für sich zu behalten, sah sich sogar um, ob jemand es mitgehört haben könnte. Er wolle die Geschichte weiter verfolgen, aber nicht jetzt. Später würde er wahrscheinlich einen Aufsatz dazu verfassen, gewissermaßen als »Abfallprodukt« seiner Doktorarbeit. Renata und Carl sagten es ihm zu, Carl allerdings mit innerem Vorbehalt. Die Aufklärung eines Verbrechens würde Vorrang vor dem Interesse eines Historikers haben, der aus einer menschlichen Tragödie – und doch unbedeutenden kleinen Fußnote der Kriegsgeschichte – ein Element seiner wissenschaftlichen Karriere machen wollte.
Carl stand auf, um auf die Toilette zu gehen. Caroline Schweiger ebenfalls. Sie wollte sich sicher »frisch machen«, wie die Damenwelt das so nannte. Im Korridor vor den WCs hielt sie ihn am Arm fest. Verwundert drehte er sich zu ihr um. »Ich möchte Sie gern sprechen. Allein, wenn es irgend geht. Morgen?«
Carl war mehr als verwirrt. War das ein Angebot? Aber so sah sie nicht aus, sie wirkte eher – bedrückt. Ernst und traurig. Seine Gedanken überschlugen sich. Durfte Renata das wissen? Oder verschonte er sie lieber? Hatte er überhaupt irgendwann eine Zeit allein für sich, in der er sich mit dieser Frau unbeobachtet treffen konnte? Doch, Renata hatte morgen Vormittag einen Termin bei Franz Branntwein. Vielleicht konnte man sich am Strand treffen, so wie heute Morgen, quasi ganz unauffällig? Ja, das war es. Und völlig ungefährlich, inmitten der Urlauber. »Ich bin morgen ab zehn Uhr am Strand, in unserem Strandkorb. Meine Frau kommt gegen elf Uhr dazu. Ginge das?«
»Ja, wunderbar. Ich danke Ihnen.«
Dank! Wofür? Carls Verwirrung wuchs noch weiter an.
Der Abend war schön
Der Abend war schön gewesen. Renata wunderte sich allerdings, warum Carl gegen Ende so schweigsam geworden war. Häufig, und gerade unter leichtem Alkoholeinfluss, pflegte er das Gespräch an sich zu reißen.
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