Finale auf Föhr
trafen Renata und Carl auf der Terrasse der »Ual Skinne« ein. Der Außenbereich des Restaurants lag inzwischen im Schatten – durchaus angenehm, da es immer noch recht warm war. Vor allem hatten sie schon den ganzen Tag am Strand verbracht, mit Sonne satt! Es gab erst zehn, zwölf Gäste, die meisten Pärchen. Um diese Zeit waren die Kaffeegäste schon lange gegangen, die meisten Abendgäste noch nicht eingetroffen. Später würde es sich wie an jedem der schönen Sommertage schnell füllen, und dann war es schwierig bis unmöglich, einen Platz zu bekommen. Häufig fielen auch ganze Scharen von Leuten aus der Utersumer Reha-Klinik hier ein, um sich Neuigkeiten von der Strandgymnastik, den diversen gesundheitsfördernden Anwendungen oder den Launen der Ärzte und Schwestern zu erzählen.
Wer hier einmal saß und es genoss, der war nicht so schnell zum Gehen zu bewegen. Carl hatte deshalb bei Frauke einen Tisch für fünf Personen reserviert. Ihre »Zimmerwirtin« war auch die Besitzerin des Restaurants, in dem ihr Lebensgefährte Mario Contadino die Versprechungen der mediterranen Speisekarte verwirklichte.
Sie steuerten auf den Tisch links neben dem Eingang zu, an dem bereits das Ehepaar Schweiger – ohne Catherine – saß. Die beiden waren offenbar schon eine Weile hier, denn vor dem jungen Historiker stand ein halb volles Weizenbierglas, vor seiner Frau ein fast leeres Glas, in dem sich vermutlich Apfelschorle befunden hatte. Jetzt erhoben sie sich, um Renata und Carl zu begrüßen. Ihre Tochter hatte nicht mitkommen wollen und sie hatten sie in der Obhut der Familie mit etwa gleichaltrigen Kindern zurückgelassen, die im Appartement neben ihnen wohnte. Für das Kind wären die Gespräche der Erwachsenen ohnehin sicher langweilig gewesen. Da konnten Renata und Carl aus eigener Erfahrung nur zustimmen, auch wenn die eigenen lieben Kleinen früher bei solchen Gelegenheiten meist tapfer durchgehalten und die Ehre der Familie nicht allzu sehr beeinträchtigt hatten.
Man setzte sich. Frauke selbst kam mit den Speisekarten und fragte nach ihren Getränkewünschen. Eine Flasche Wein? Schweiger wollte beim Bier bleiben, seine Frau würde das Auto fahren, wollte also allenfalls ein Glas mittrinken. Carl bestellte eine Flasche von dem sizilianischen Weißwein, den er wegen seines fruchtigen Geschmacks besonders schätzte.
Dann vertieften sie sich in die Speisekarte. Die war nicht allzu dick – Gott sei Dank, dachte Carl bei sich. Die Auswahl fiel eben leichter, wenn nur zehn oder fünfzehn statt hundert Gerichte angeboten wurden. Renata und er hatten auch schon nahezu alles durchprobiert, nur die »Tagesüberraschung« war jedes Mal neu. Mario, der grundsätzlich die Zutaten einkaufte, hütete das Geheimnis immer sehr gut. Heute wurde eine »Dorade provençale« mit verschiedenen Gemüsen und Salat angeboten. Renata entschied sich spontan dafür. Wassermänner mögen halt Fische. Matthias Schweiger wählte das Steinbuttfilet, »Wildfang«, mit Zitronenkraut. Carl lächelte, konnte sich aber noch beherrschen, eine Bemerkung über den jungen ungebärdigen Fisch zu machen, den nun doch ein saures Los ereilt habe. Seine Frau begnügte sich mit einem »Salade Niçoise«.
»Ich denke, das arme Allgäuer Berglamm soll nicht vergeblich sein hoffnungsvolles, junges Leben gelassen haben. Liegt das Allgäu eigentlich auch am Mittelmeer?«, wandte er sich an Frauke, die ihre Bestellungen aufnahm. Die lachte nur, während Renata ihm den rechten Fuß in den linken Unterschenkel rammte und ihn streng ansah. Musste er sich immer so bemühen, witzig zu sein oder die Leute mit seinen Bemerkungen in Verlegenheit zu bringen?
Das Ehepaar Schweiger hatte die kleine Szene taktvoll ignoriert, und Renata lenkte die Aufmerksamkeit schnell auf ein neues Thema, während sie auf das Essen warteten. »Wie sieht es denn aus mit Ihren Forschungen, sind Sie weitergekommen?«, fragte sie den jungen Historiker.
Das war sein Stichwort, voller Enthusiasmus legte er los. Schon im Frühjahr habe er einige Interviewtermine mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen festgemacht, die er jetzt abarbeite. Abgesehen von Luftangriffen, hauptsächlich auf Militäreinrichtungen und Fährschiffe, seien die Inseln vom Krieg direkt verschont geblieben. Aber das Leben sei hart gewesen, und noch härter in der ersten Nachkriegszeit. Viele Männer und Söhne seien gefallen, vermisst oder in Kriegsgefangenschaft geraten, die Frauen hätten mehr oder weniger alleine
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