Finale auf Föhr
dagestanden. Während des Krieges hätten ihnen Zwangsarbeiter helfen müssen. Wie in ganz Deutschland hätte es auch auf Föhr nicht an Unterstützung für die Nationalsozialisten gefehlt, oh nein. Aber nach dem Krieg habe man, wie überall, auf einmal nichts mehr davon wissen wollen. Selbst heute noch sei den Zeitzeugen nicht viel zu entlocken. Wo sind sie bloß alle hin, fragte sich Carl im Stillen. Ganz Deutschland verführt, ahnungslos in Geiselhaft einer kleinen Clique gewissenloser Massenmörder? Dieses Geschichtsbild ließ sich schon lange nicht mehr aufrechterhalten, auch wenn viele Menschen sich noch heute hartnäckig daran klammerten.
Inzwischen war das Essen gekommen und das Gespräch wandte sich anderen Themen zu. Das Leben in Hamburg, die Zustände früher und heute an der Uni, die letzten heute noch lehrenden Geschichtsprofessoren aus ihrer aktiven Zeit ... die Urlaubsquartiere auf Föhr, die Preise, das Wetter, die Kinder. Eine gute Unterhaltung zu einem vorzüglichen Essen. Auf Föhr war hinsichtlich der Qualität des Essens die ganze Spannbreite zu erfahren. Die reichte vom lieblos in die Pfanne gehauenen, dick panierten, flachen Schweineschnitzel oder Fisch Modell PNP (Panier – Nix – Panier) bis hin zu ausgesuchten Köstlichkeiten. Und warum sollte es auf der Insel auch anders sein als im Rest Deutschlands! Nur die Preise unterschieden sich meistens – Urlaubersaison – und Fährzuschlag! Beides war durchaus gerechtfertigt, darüber waren sie sich am Tisch einig. Anders als in den früheren Jahrzehnten lebten die meisten Insulaner von der Bereitschaft der Sommergäste, Geld auszugeben. Landwirtschaft und Fischerei spielten längst nicht mehr eine so große Rolle wie früher. Im Winter musste man von dem leben, was der Sommer eingebracht hatte. Das konnte eng werden. Viele einheimische Familien hatten deshalb einen »Verdiener« auf dem Festland, zur Freude der Feringer Inselreederei, die auch von den Berufspendlern lebte.
Die Flasche Sizilianer war inzwischen geleert. Man entschloss sich zu einer zweiten. Carl sah Renata unauffällig an. Im nüchternen Zustand meistens eher zurückhaltend, löste der Alkohol zuverlässig ihre Zunge – und häufig am nächsten Tag Kopfschmerzen und Kreislaufbeschwerden aus. Nun, sie hatten am nächsten Tag nichts vor, außer im Strandkorb – was ihn betraf, lieber davor im Sand – »abzuhängen«. Und der nächsten Behandlung bei Franz Branntwein.
Renata animierte Matthias Schweiger, das Thema der Inselgeschichte im Krieg wieder aufzunehmen. Schließlich kamen sie auf den Bombenkrieg. Darunter mussten die Nordfriesen nicht allzu sehr leiden. Die Bomberströme waren in der Regel über sie hinweg gezogen, anderen, lohnenderen Zielen entgegen. Einige wenige Feindflugzeuge waren von der Flak abgeschossen worden und dann meistens ins Meer abgestürzt, einige allerdings auch auf die Insel. Schweiger hatte herausgefunden, dass einmal ein überlebender Pilot von Einheimischen aus Rachsucht umgebracht worden war. Der Fall war nie aufgeklärt worden, und man wusste es nur vom Hörensagen. Der Tote war wohl ins Meer geworfen oder später umgebettet worden, jedenfalls gab es kein Grab auf der Insel. Kurz zuvor waren bei einem Angriff eines britischen Jagdbombers auf eine Fähre viele Passagiere ums Leben gekommen. Höchstwahrscheinlich hatte das die Menschen erregt, und die nationalsozialistische Hass-und Rachepropaganda hatte das ihrige dazu beigetragen.
In den letzten Kriegsjahren hatten dann britische Flugzeuge oft Angriffe geflogen. Jagdbomber mit hoher Reichweite beherrschten nach Belieben den Luftraum über den Inseln. Schweiger berichtete, dass selbst unbedeutende kleine Ziele immer häufiger angegriffen worden seien, selbst Fischkutter, aber natürlich auch die bewaffneten Kriegsfischkutter. Und er habe nach Jahren unablässiger Recherche entdeckt, dass sich hier nicht nur die wachsende alliierte Überlegenheit an Menschen und Material ausgewirkt habe. Es sei auch Verrat im Spiel gewesen, wie er nach Recherchen in kürzlich freigegebenen britischen Akten belegen könne! Ein deutscher Offizier auf Sylt habe dem Widerstand angehört. Die Briten seien dank seiner Unterstützung zeitweise exakt über die Einsatzpläne der auf Sylt stationierten deutschen Boote informiert gewesen. So hätten sie sie punktgenau angreifen und versenken können.
»Und jetzt halten Sie sich fest«, verkündete Schweiger. »Einen der Überlebenden eines solchen Angriffs kennen
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