Finale auf Föhr
tatsächlich die Frau des Kapitäns und seine Tochter! »Das war eine tragische Sache«, stellte der Masseur fest. »Soweit ich weiß, war das ein Autounfall. Ich weiß selber nichts davon, ich war damals ja ganz klein. Meine Mutter hat aber viel davon erzählt. Das war lange Inselgespräch. Die Story wird auch immer mal wieder aufgewärmt. In der Nebensaison haben die Leute hier viel Zeit zum Quatschen. Petersen und seine Frau kamen ja von hier, wohnten aber zu der Zeit in so’nem Kaff zwischen Hamburg und Lüneburg. Abends im Winter war das, stockdunkel natürlich. Irgendwo hinter Hamburg fährt sie auf der Landstraße, das Kind ist dabei, der Mann aber nicht. Der war vielleicht gerade auf See, keine Ahnung. Der Vater von ihr hatte ja auch ne Reederei, Ausflugsschiffe Hamburg-Helgoland, Kümos und was weiß ich.«
Renata fragte nach. Den Begriff »Kümos« kannte sie nicht.
»Ein Kümo ist ein Küsten-Motor-Schiff, gnädige Frau«, betonte Franz Branntwein. »Kümos sind nicht besonders groß, fahren immer in Küstennähe, transportieren heute dies, morgen das. Im Wyker Hafen liegen auch immer mal welche. Mein Vater hat zum Beispiel gelegentlich auf einem gearbeitet, in der Nebensaison, wenn die Praxis geschlossen war.«
Franz Branntwein musste offenbar unbedingt all sein Wissen loswerden – aber an der Bruttoregistertonnenzahl von Kümos, der schweren Arbeit an Bord für wenig Geld oder am Berufsleben des Masseurs senior war Renata nicht interessiert. Sie brachte ihn vorsichtig auf den Unfall zurück.
»Also, die Frau, die hat wohl einen mit Karacho überholt und dann festgestellt, dass die Straße nicht geradeaus weiterging, sondern eine scharfe Linkskurve machte. Auf die war sie nun gar nicht eingestellt und sowieso viel zu schnell. Sie versuchte wohl noch abzubremsen, verlor aber die Gewalt über den Wagen, schleuderte über die Straße, kam mit den Rädern auf die weiche Bankette und das war’s. Das Auto hat sich überschlagen und ist an einen Alleebaum geknallt. Die Frau und das Kind waren sofort tot. Das muss ein schrecklicher Anblick gewesen sein. Meine Mutter hat mal erzählt, die war ja bei der Beerdigung in Süderende dabei, dass man sie nicht offen aufgebahrt hat. Waren wohl schlimm zugerichtet.«
Renata kämpfte gegen ihre Tränen, konnte sich aber doch nicht beherrschen. Vor ihren Augen entstand das liebevoll gepflegte und geschmückte Grab. Sie sah vor sich eine junge Frau und ein süßes kleines Mädchen, sie sah einen vor Schmerz erstarrten und verhärteten Mann, dem das Leben von diesem Augenblick an nichts mehr wert gewesen sein musste. Wenn Carl und den Kindern so etwas zustieße ... ja, dann würde sie selbst nicht mehr leben wollen.
Franz Branntwein hörte auf, sie zu massieren und schwieg betroffen, entschuldigte sich schließlich. »Ich ahnte ja nicht, dass es Ihnen so nahe gehen würde. Es tut mir leid.« Renata beruhigte sich und fragte nach der Reaktion von Petersen.
»Ich sagte ja schon, der war nicht dabei«, nahm Franz Branntwein den Faden wieder auf. »Der kam erst Tage später zurück, gerade noch rechtzeitig zur Beerdigung. Meine Mutter hat erzählt, das habe er sich immer vorgeworfen, dass er nicht da gewesen sei, als das passierte. Aber das ist doch Quatsch. Dann wär er wahrscheinlich auch tot gewesen, also was kann er sich da vorwerfen?«
»Was ist das Liebste, was Sie haben?«, wollte Renata von ihm wissen.
Franz Branntwein begriff. »Ja, okay, Sie haben Recht. Also wenn Heike was zustoßen würde, dann wäre ich auch mit der Welt fertig, dann wär ich hinterher ein anderer Mensch. So wie der Petersen vielleicht.«
Beide blieben einen Augenblick still. »Ich frage mich, was das wohl mit dem toten Reeder zu tun hat. Ob es da einen Zusammenhang geben könnte?«, bemerkte Renata schließlich.
»Sie meinen, den Unfall damals und die Sache jetzt? Dann müsste ja der Siewering irgendwas mit dem Tod der Frau zu tun haben.« Franz Branntwein überlegte. »Jaaa, warten Sie mal, da gab’s doch was! Da gab’s wirklich was. Und ich weiß jetzt auch, was! Das hat mein Vater mal erwähnt. Der Siewering hat nämlich die Firma von Petersens Schwiegervater übernommen. Das war damals schon so’n Hai, der die Kleinen erst kaputtgemacht hat, um die dann zu schlucken! Und der Sohn hat’s von ihm abgeguckt. Der wollte sich doch jetzt sogar unsere Feringer Inselreederei einverleiben. Aber da wird jetzt wohl nichts mehr draus.«
»Vielleicht ist das damals ziemlich gleichzeitig
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