Finale auf Föhr
glücklich, seine Frau war gestorben, zwei Kinder. Ständig Streit mit seinem Vater, der sich in alles einmischte. Mit dem Unternehmen stand es zeitweise nicht besonders gut, das kam auch noch dazu. Kurzum: Er brauchte jemanden zum Reden, und das war ich.«
Sie machte eine Pause, schaute auf das Meer hinaus, ihr Blick verlor sich am Horizont. Carl drängte sie nicht, und sie nahm schließlich ihre Erzählung wieder auf.
»Und bald war ich auch mehr für ihn. Glaubte ich jedenfalls. Irgendwann ist es einfach passiert. Und ich hatte ganz vergessen, warum mein Vater unbedingt wollte, dass ich bei Siewering arbeite. Wir hatten nur ein paar Wochen, und immer alles total geheim. Im Büro musste ich ihn siezen. Ich glaube heute, Martin wusste einfach nicht, was er wollte. Das war sein großes Problem. Als Unternehmer war er gut, recht erfolgreich, anerkannt, auch bei seinen Leuten, aber privat ein Versager ... nein, kein Versager, aber einfach irgendwie hilflos. Ich glaube, in seiner Familie hatte er nie Wärme und Liebe erfahren. Von seiner Frau hat er nicht viel erzählt, aber sie muss wohl die Richtige für ihn gewesen sein. Und als sie dann überraschend starb, warf ihn das aus der Bahn, er versteinerte. Ich wollte das zuerst nicht sehen. Dann wollte ich ihm helfen, wollte seinen Panzer aufbrechen, aber das war mir nicht möglich, aber ich begriff es nicht sofort. Schließlich stellte ich fest, dass er mich nicht liebte, dass es nie etwas mit uns werden würde. Und außerdem entdeckte ich, warum mein Vater unbedingt wollte, dass ich in genau dieser Firma arbeite.«
Sie unterbrach sich erneut für einen Moment, blickte wieder auf das Meer hinaus. Die Wolken hatten sich inzwischen höher aufgetürmt, die Bank kam langsam näher. Der Wind frischte weiter auf. Aber es war nicht unangenehm, noch nicht. Aber am Nachmittag würde es wohl aus sein mit dem guten Wetter. Carl schwieg. Noch verstand er nicht. Trauerte sie um Martin Siewering, eine unerwiderte Liebe? Und warum erzählte sie ihm das?
»Vor sechs Jahren haben wir uns getrennt, wenn man es überhaupt so nennen kann. Ich habe einfach fristlos gekündigt, bin gegangen. Aus seinem Leben, aus unserem Leben. Zumindest aus meiner Sicht hätte es ein gemeinsames Leben sein können, trotz des Altersunterschiedes. Aber er wollte mich im Grunde nicht, das habe ich irgendwann erkannt. Und dann war da Matthias, der schon länger um mich geworben hatte. Ich wurde schwanger, das war dann die endgültige Entscheidung.«
Sie waren stehen geblieben. »Ich kann das ehrlich gesagt nicht verstehen, dass irgendjemand auf dieser Welt Sie nicht mehr wollen kann«, sagte Carl.
»Danke«, sagte sie leise und legte eine Hand kurz auf seinen Arm.
Carl fühlte, wie ihm diese flüchtige Berührung einen Schauer durch den Körper jagte. »Lieben Sie ihn noch?«, fragte er schließlich.
»Nein, das ist vorbei, endgültig. Aber ich erzähle Ihnen das nicht wegen dieser Beziehung. Es ist viel komplizierter.«
Carl war gespannt, aber sie machte wieder ein kurze Pause, atmete einmal tief durch und fuhr dann entschlossen fort.
»Ich habe herausgefunden, dass mein Vater die Reederei Siewering erpresst haben muss. Er hat irgendetwas gewusst, das nicht ans Licht der Öffentlichkeit dringen sollte. Ich gehe heute davon aus, dass es eine Geschichte ist, die aus dem Krieg herrührt. Mein Vater hat mir nie gesagt, was genau er beruflich gemacht hat. Er ist Marineoffizier, aber nie auf einem Schiff gewesen. Dies und das in irgendwelchen Ämtern und Dienststellen, hieß es immer, und ich würde das sowieso nicht verstehen. Ich glaube, dass er eigentlich die meiste Zeit in einem Sonderarchiv gearbeitet hat. Aus seinen Andeutungen konnte ich mir irgendwann zusammenreimen, dass er beim Geheimdienst war oder ist. Das habe ich ihm also ins Gesicht gesagt. Er hat es nicht abgestritten, aber auch nicht bestätigt. Er war es jedenfalls auch, der Matthias geholfen hat, die Geheimakten über die alliierte Kriegführung und bestimmte Geheimdiensterkenntnisse und -operationen in Norddeutschland einzusehen. Es hat eine Weile gedauert. Nach und nach habe ich die verschiedenen Informationen in einen Zusammenhang stellen können, bis ich begriffen habe, dass mein Vater den alten Siewering erpresst haben muss. Wahrscheinlich weiß er etwas über ihn, das ihn in ein schlechtes Licht stellen konnte und das besser nicht ausgeplaudert werden sollte, irgendetwas Abgründiges.«
»Aus seiner Tätigkeit in einem
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