Finger, Hut und Teufelsbrut
Fluss stehen sah, in der Rechten eine tote Kocherforelle haltend). Allzeit bereit für die Fangruppe, die sich ja jederzeit sekündlich einstellen konnte, wie Schmälzle immer zu sagen pflegte. »Und er hat nicht vorher angerufen oder geschrieben, sondern sich einfach so bei dir im Loft materialisiert?«
Man merkte Schmälzle die Skepsis an. Ihr ehemaliger Volkshochschulkochkursleiter galt als verschollen, vermutlich tot. Und zwar seit jenem denkwürdigen Abend, an dem die Männerkochkursjungs beim baden-württembergischen Amateurwettkochen ihren Herrn und Meister bis auf die Knochen blamiert hatten, weil sie, statt ein Gericht zuzubereiten (was sie nicht konnten, noch nie gekonnt hatten und auch nie können würden), vor laufenden SWR -Kameras eine kulinarische Stripeinlage mit Fertigpizza hingelegt hatten. Daraufhin war Bocuse untergetaucht.
»Ja. Einfach so. Wahrscheinlich Inselkoller.« Klaus hatte Schwäbisch Hall noch nie verlassen. Er war ein reicher Erbe und hätte sich ohne Probleme neben einer Villa in der Karibik auch ein Stadthaus in London und ein Schloss in Vorpommern leisten können. Aber Klaus war eben Klaus, und so einen wie ihn verpflanzte man nicht. Schon die alljährlichen Busausflüge seines Kegelvereins nach Rothenburg ob der Tauber waren eine Fernreise für ihn.
»Er will, dass ich ihm ein Bistro finanziere.« Klaus sezierte seine gefüllten Weinblätter. Er sezierte mit Hingabe, die Zungenspitze züngelte zwischen seinen Lippen. Er sah aus, als wolle er etwas zum Spielen finden. Am liebsten einen Spielzeugschnellbausatz wie bei einem Kinder Überraschungsei. Aber die Innereien der Weinblätter bestanden dann doch nur aus einer Hackmischung mit Reis.
»Ein Bistro?« Klempner Arndt klang erstaunt. Er hatte eigentlich Bereitschaftsdienst, weswegen ihm auch sein hochmodernes Handy blau im Ohr blinkte, aber er trank dennoch in aller Seelenruhe ein Bier. Bei seiner Statur war ein Bier ja auch gar nichts. Das schwitzte er binnen einer Viertelstunde locker im Sitzen wieder aus.
»Die französische Küche ist in Hall unterrepräsentiert. Das könnte sich eventuell sogar lohnen«, dozierte Mathelehrer Horst.
Buchhändler Eduard nickte dazu, sagen konnte er nichts, sein Mund war randvoll mit Bulgursalat gefüllt. Im Grunde war sein Mund nicht nur zum Sprechen zu voll, sondern auch zum Kauen. Wäre Eduard zu Hause gewesen, hätte er einen Teil wieder auf den Teller gespuckt, aber hier, im Restaurant, verbot ihm das die gute Erziehung seiner Mutter, Gott hab’ sie selig. Eine vertrackte Situation. Hamsterbackig starrte er stur geradeaus. Vielleicht würde sein Speichel den Bulgursalat in seinem Mund allmählich auflösen, wenn er nur lange genug wartete.
»Aber wieso bittet er
dich
um Geld und nicht seine Bank?«, fragte Schmälzle.
Allen anderen war die Antwort klar. Banken wollten so Sachen wie Sicherheiten, Unternehmenskonzepte, Referenzen. Klaus wollte nur Spaß. Und da Klaus, wie schon gesagt, ein reicher Erbe war – ein sehr reicher Erbe! –, musste man als sein Freund schon ein großer Idiot sein, wenn man nicht ihn, sondern eine Bank um Geld anging.
»Und? Wirst du ihm helfen?«, fragte Gotthelf, ein weiterer Kochkumpan.
»Bocuse hat mir vorgeschlagen, sein Bistro
Chez Klaus
zu nennen.« Klaus strahlte, was die anderen als ein Ja auf Gotthelfs Frage interpretierten. »Es gibt doch diverse freistehende Lokalitäten im Innenstadtbereich.
Chez Klaus
könnte unsere neue Stammkneipe werden.«
Klaus, der keine Familie mehr hatte und dessen einzige Bezugsperson seine aufblasbare Gummipuppe Mimi war, erging sich in Vistavisionsvisionen von allabendlichen, geselligen Runden mit seinen Kochkollegen Schrägstrich Freunden. Nie mehr allein sein! Fruchtfliegen waren bei aller Liebe kein wirklich adäquater Ersatz für zweibeinige Biertrinkerkumpels.
»Und? Wirst du es machen?«, hakte Klempner Arndt nach, nur um ganz auf Nummer sicher zu gehen. Er wollte Bescheid wissen, bevor er weggerufen wurde.
»Ich denke schon.« Klaus nickte. »Warum auch nicht? Ist doch eine einmalige Chance!«
In genau diesem Moment beschloss Erna K. ( 64 ) aus der Schwatzbühlgasse 59 , dass sie lieber die Abendzulage für den Notdienstklempner zahlte, als sich bis morgen früh den Toilettengang zu verkneifen. Kurzum: Sie wählte die Klempnernotdienstnummer.
Nun muss man wissen, dass Klempner Arndt beim Bereitschaftsdienst gern einmal einzuschlummern pflegte, und da brauchte er einen Handyklingelton, der ihn selbst
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