Finger, Hut und Teufelsbrut
französischen Behörden nicht auf die Schliche kamen, aber es war sein Traum, der da wahr wurde. Sein Bistro würde wie eine Bombe einschlagen, und dann würden sich diese Bürokratennasen nicht trauen, sein florierendes Klein-Paris wieder zu schließen. Zeugnis hin, Bescheinigung her.
Pah!
Am besten heilt man Schlaflosigkeit durch jede Menge Schlaf. (W. C. Fields)
Rani Chopra schlich die Treppe hinunter. Nicht lautlos, denn nicht einmal ein Leichtgewicht wie sie konnte das Knarzen der uralten Holzstufen verhindern. Und da Hovawart Onis, ein Schwergewicht unter den Hunden, ihr folgte, klang es sehr nach einem Knarzkonzert in ges-Moll oder so, als ergösse sich eine Gerölllawine aus dem zweiten Stock des Seifferheld-Hauses hinunter ins Erdgeschoss.
Rani konnte nicht schlafen, und Onis folgte grundsätzlich jedem, der in Richtung Küche unterwegs war, denn es könnte ja etwas für ihn dabei abspringen. Ein Saitenwürstle zum Beispiel oder ein Hundekeks oder ein Abenteuer.
Rani, die nicht vorhatte, irgendwann noch einmal in ihr Zimmer im Studentenwohnheim zurückzukehren, trug einen alten Pyjama von Susanne, der ihr zu groß war, und einen grottenhässlichen Morgenmantel, den ihr Irmgard aus Gründen der Schicklichkeit aufgezwungen hatte. Aber Rani war nicht eitel. Trotz ihrer Schönheit. Oder vielleicht gerade deshalb.
In der Küche öffnete sie den Kühlschrank und sah erst einmal nichts – ein typischer Männerkühlschrank. Immerhin entdeckte sie grünen Salat im Gemüsefach. Rani lächelte. Sich Salat mit Öl anzumachen war in Indien nicht üblich, und sie fand die Angewohnheit immer noch lustig. Neben dem Salat lag noch ein Rest Gelbwurst, den sie Onis zuwarf, und schließlich Milch, die sie sich aufwärmte.
Dann lauschte sie in die Nacht hinaus. Das Haus lag im Tiefschlaf. In Deutschland war es oft still, das kannte sie aus Mumbai gar nicht. Und aus London auch nicht. Hier war alles viel durchstrukturierter, dort alles viel chaotischer. Sie liebte das lebendige Chaos ihrer beiden Heimatländer, aber die Stille tat bisweilen auch gut. Man konnte viel besser nachdenken. Zum Beispiel über dieses alte Fachwerkhaus, in dem sie gerade wohnte und das förmlich Geschichte zu atmen schien.
Ihr Gästezimmer lag unter dem Dach, gleich neben dem Raum, den die Nichte ihres Gastgebers mit ihrem Baby bewohnte.
Im Stockwerk darunter befanden sich drei relativ große Zimmer, die bis vor kurzem noch von Siggi Seifferhelds Tochter belegt gewesen waren und in die, bis auf eines, dann MaC und Seifferheld gezogen waren. Aber die Journalistin schlief ja jetzt wieder in ihrer alten Wohnung.
Rani schürzte angesichts dieses Gedankens die Lippen. Wenn sie erst einmal so alt war, würde sie kein so wildes Liebesleben pflegen, heute hier, morgen da, und das mit einem Mann, der nicht der eigene war. Das gehörte sich nicht für Greise, die jungen Menschen ein Vorbild sein sollten. Was das betraf, war Rani erzkonservativ. Man hatte zeitig zu heiraten, sollte Kinder bekommen und bis ans Lebensende zusammenbleiben. Fertig!
In dieser Hinsicht war sie ganz einer Meinung mit Irmgard Seifferheld, die wohl gerade Strohwitwe war und im Erdgeschoss schlief. Man konnte sie bis in die Küche schnarchen hören. Bei alten Menschen wurde ja die Muskulatur im Rachenraum schwächer, und die weichen Gaumenteile vibrierten im Luftzug des Atems zunehmend lauter, das kannte Rani von ihrer Großmutter väterlicherseits, deren nächtliches Sägen in ganz Mumbai legendär geworden war.
Rani seufzte. Ob sie ihre Großmutter jemals wiedersehen würde? Was würde der morgige Tag wohl bringen?
Mit ihrem Glas Milch in der Hand trat sie auf den Flur hinaus. Hier gab es eine Tür, die nach unten führte, allerdings nicht in einen feuchten, modrigen Keller, sondern in eine leerstehende, teilmöblierte Souterrainwohnung. Die Seifferhelds dachten immer mal wieder daran, die Wohnung zu vermieten, zum Beispiel in den Sommermonaten an Schauspieler der Freilichtspiele, aber da es keinen separaten Eingang gab und die potenziellen Mieter durch den Seifferheldschen Flur hätten laufen müssen, war das keine gute Lösung, es sei denn, die Mieter ließen das Fenster angelehnt und gelangten auf diesem Weg in die Wohnung.
Aber da es zwischen den Familienmitgliedern andauernd zu kriseln schien, war es ja nur von Vorteil, wenn unten noch Wohnraum frei blieb. Schließlich war bei dieser Sittenlosigkeit beinahe täglich damit zu rechnen, dass Susanne oder Irmgard ihre
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