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Finger, Hut und Teufelsbrut

Finger, Hut und Teufelsbrut

Titel: Finger, Hut und Teufelsbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Kruse
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wegen voller Windel und leerem Magen, verstummte.
    Dagegen war Olga, die kasachische Nicht-Putzfrau, alles andere als stumm: »Ich mir müssen abgewöhnen, morgens in diese Haus zu kommen und durch offene Türen zu schauen. Ihr alle sein verrückt, alle verrückt!«

[home]
    Tag eins danach
    Heute kein Polizeibericht
    – Lesen Sie alles über die Entführung des indischen Kulturattachés Mohandra Johar auf der Titelseite des Lokalteils. –
    Blühender Flieder ist unglaublich, das Schönste, was es in der Natur gibt. Noch schöner und unglaublicher wäre allenfalls, wenn eine Stockente »Für mich soll’s rote Rosen regnen« quakte …
    Seifferheld, Onis und der rosa Teddy genossen ihren Morgenspaziergang. Die ganze Nacht über hatte Schwäbisch Hall förmlich unter einer vibrierenden Lärmglocke gelegen. Hubschrauber mit Wärmebildkameras flogen durch das Kochertal. Ermittler des Bundeskriminalamtes trafen in schwarzen Limousinen ein. Hundestaffeln durchkämmten die verwinkelten Gassen der Altstadt. Übertragungswagen von Privatsendern suchten sich die besten Stellplätze. Reporter interviewten Nachtschwärmer. Das war das größte Verbrechen in der Stadt seit … seit Menschengedenken.
    An Schlaf war nicht zu denken gewesen, weswegen sich Seifferheld ziemlich gerädert fühlte. Am frühen Morgen hatte er im Sekretariat der Polizeichefin angerufen und erfahren, dass es noch keine heiße Spur gab. Der Kulturattaché war und blieb verschwunden.
    Es war sogar ein Beitrag im ZDF -Morgenmagazin ausgestrahlt worden. Ein übernächtigt dreinschauender Kriminaler, den Seifferheld nicht kannte, hatte – mit zu viel Maske im Gesicht und immer in die falsche Kamera schauend – die Vermutung aufgestellt, dass die Entführer den Kulturattaché womöglich schon ins Ausland gebracht hatten. »Wahrscheinlich über die offene Grenze zu Frankreich, die von Schwäbisch Gmünd aus bei entsprechend geringem Verkehrsaufkommen in unter zwei Stunden mit dem Wagen zu erreichen ist.«
    Seifferheld hatte ein besticktes Zierkissen gegen den Kleinbildfernseher in seinem Schlafzimmer geworfen. Vor Wut. Weil wieder mal eine Dumpfbacke Schwäbisch
Hall
mit Schwäbisch
Gmünd
verwechselt hatte. Trottel!
    In dem Bericht war erwähnt worden, dass man im Wohnheimzimmer von Rani Chopra ein Tagebuch gefunden hatte. Der eiligst angeheuerte Übersetzer – im Bild tauchte daraufhin der blonde Indologe aus dem
Indian Forum
auf – hatte noch nicht alles gelesen, aber offenbar hatten sich Rani und der Kulturattaché in London bei der Hochzeit gemeinsamer Freunde kennen und lieben gelernt. Kein Wunder, dass ihr so viel an seinem Wohlergehen lag. Sie hegte wohl die Hoffnung, ihn eines Tages heiraten zu können, allerdings waren ihre beiden Familien strikt dagegen, weil sie aus unterschiedlichen Kreisen stammten, und in Indien zählte das noch etwas.
    Tja, und dann waren beide entführt worden. Wilde Gedanken stürmten durch Seifferhelds markanten Altmännerkopf. Waren sie womöglich gar nicht entführt worden? Waren er und Rani miteinander durchgebrannt, um irgendwo zu heiraten und ihre Familien vor vollendete Tatsachen zu stellen? Aber nein, das waren nur die fiebrigen Phantasien eines Gehirns auf Schlafentzug. Er hatte doch mit eigenen Augen gesehen, wie man erst Rani und später den Kulturattaché in die jeweiligen Fluchtwagen gezerrt hatte. Und zwar sehr grob gezerrt, daran bestand kein Zweifel.
    Angesichts des Umstandes, dass Olga und Irmgard in der Küche einem morgendlichen Frauenschwatz gefrönt hatten, war in Seifferheld spontan der Entschluss gereift, sich ungefrühstückt mit Hund und rosa Hundeteddy auf den Weg in den Stadtpark zu machen, um dort in Ruhe in sich zu gehen.
    Heute war nämlich seine allererste (und womöglich auch allerletzte) Radiosendung. Eigentlich hätte er nervös sein müssen, aber dazu war er zu müde.
    Normalerweise herrschte im Sommer selbst zu dieser frühen Stunde immer Leben in den sogenannten »Ackeranlagen«. Ein wirklicher Acker war hier allerdings zuletzt im Zweiten Weltkrieg gewesen, seit der Landesgartenschau Anfang der achtziger Jahre fand man hier vielmehr eine blühende Grünanlage mitten in der Stadt: Menschen auf dem Weg zur oder von der Arbeit, zu Fuß oder auf dem Rad; Picknicker; Frisbeespieler; Lachyoga-Gruppen; Hundebesitzer; Mütter mit Kinderwagen; Jogger; Gebetskreise gegen Stuttgart 21 und Atomkraft; Touristen; spielende Kinder – es war immer etwas los. Doch an diesem Morgen herrschte

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