Finger, Hut und Teufelsbrut
Sportbuggy ab und fing an zu jaulen. Ola-Sanne krähte mit. Je lauter Ola-Sanne krähte, desto lauter jaulte der Hund. Seifferheld dachte, dass er Onis das Jaulen schleunigst wieder abgewöhnen musste, bevor es zur Gewohnheit wurde, aber er war immer noch müde und momentan zu träge. Außerdem fand er dieses Duett von Baby und Hund ganz niedlich, was aber wahrscheinlich an seinen Großvaterohren lag, denn die wenigen Passanten im Park legten deutlich an Tempo zu, und auf der anderen Kocherseite war genervtes Fensterschließen zu hören.
Susanne klopfte auf ihr Apple-Hightechteil ein.
Siegfried Seifferheld schaute das iPad misstrauisch an. Dinge, die es schon gab, als man auf die Welt kam, waren selbstverständlich. Dinge, die erfunden wurden, bevor man das vierzigste Lebensjahr erreichte, waren neu und aufregend. Alles, was danach erfunden wurde, verstieß gegen die natürliche Ordnung der Dinge und war des Teufels. Das hatte Seifferheld mal gelesen und er fand es absolut zutreffend. Seine Welt kam auch gut ohne iPads und das ganze Gedöns aus.
»Ich habe mit Tante Marcella gesprochen, die war nach der Geburt von Karina auch nicht gut drauf. Was in ihrem Fall natürlich damit zu tun haben könnte, dass sie ein Baby wie Karina geworfen hat, wir kennen ja alle Karina …« Sie seufzte. »… aber Tante Marcella meinte auch, dass sie damals sehr gute Medikamente genommen hat, die sie in null Komma nichts wieder normal werden ließen. Und wenn es zu ihrer Zeit schon effektive Pillen gab, wie viel effektiver müssen dann erst die Pillen von heute sein!«
Seifferheld sagte nichts. Susanne
war
längst wieder normal. Ihre Stimme hatte diesen klirrenden Klang, der keinen Widerspruch duldete, ihre Haltung hatte die typische Starre, die an einen verschluckten Besenstiel erinnerte, und ihr Blick war so durchdringend wie immer und konnte wahlweise Kleinstlebewesen oder Hoffnungsschimmer töten. Doch, ja, das war wieder seine Tochter Susanne, ganz die Nichte ihrer Tante Irmgard. Eine echte Seifferheld!
»Es ist immer gut, mit jemand zu reden, der denselben Background hat wie man selbst«, sagte Susanne. »Die anderen verstehen einen ja eh nicht.«
Als Seifferheld die Worte »denselben Background« hörte, leuchtete eine nicht EU -Norm-gerechte 100 -Watt-Glühbirne alten Schlages über seinem Kopf auf.
Ja genau, das war es! Warum hatte er nicht viel früher daran gedacht?
Seifferheld legte Onis die Leine an und stand auf. »Ich muss los.«
Wenn er nur etwas wacher und aufmerksamer gewesen wäre, wenn er nur für einen Moment aus dem hellen Schein seiner aufblitzenden Glühbirne herausgetreten wäre, um einen Blick auf seine Tochter zu werfen, dann hätte er bemerkt, wie bei Susanne, die ja noch nicht auf Droge war, die Stimmung abrupt kippte. Nein, nicht ins Depressive. Das wäre zu einfach gewesen. Sondern ins bodenlos Wütende.
Seifferheld, Onis und der Teddy waren schon längst außer Hörweite, da murmelte sie immer noch in sich hinein.
»Wenn ich diese dämliche Silke Genschwein erwische, dieses blöde Oink-oink-sie-schlägt-ihren-Mann-Gen
schwein,
diese intrigante Schnepfe, dieses Miststück, diese olle Polizei-Petze … dann mach ich sie kalt!«
Kein Plan ist nötig, wenn du Teil eines Plans bist.
I feel pretty, I feel witty, I feel pretty and witty tonight
… tönte es aus der Lobby des Löchnerhauses.
Seifferheld hielt sich keuchend am Geländer der Treppe fest, die zur Eingangstür führte. Der Klosterbuckel neben der Michaelskirche, den er hatte erklimmen müssen, um zum Sommerhaus des Goethe-Instituts zu kommen, war die steilste Gefällstrecke in ganz Hall und deren gab es dort viele.
Seifferheld band Onis am Treppenkopf fest, holte noch einmal tief Luft und trat ein. Wie in allen mittelalterlichen Häusern empfing ihn trotz der Hitze draußen eine angenehme Kühle, die leicht modrig roch. Ein Geruch, den jeder alteingesessene Haller liebte.
Die Eingangshalle war dunkel, man erahnte die Umgebung mehr, als dass man sie sah: eine breite Holztreppe, mehrere dicke Säulen, ein paar Stühle.
Wenn im Sommer der Andrang an Deutschlernwilligen besonders groß war, mietete das Goethe-Institut von der Stadt Hall das ansonsten leerstehende Löchnerhaus, in dem früher, sehr viel früher, also in Seifferhelds Jugend, einmal die Volkshochschule untergebracht gewesen war, nachdem es Jahrhunderte lang als Wohnhaus gedient hatte.
Seifferheld war nicht einfach nur zum Schauen gekommen, er wollte seinen
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