Finger, Hut und Teufelsbrut
britische Major Alexis Casdagli fing in einem Gefangenenlager der Nazis mit dem Sticken an. Er stickte
Fuck Hitler
im Morse-Code auf ein Kissen, und die Nazis merkten das nicht und stellten das Kissen jahrelang als Beweis dafür aus, wie glücklich ihre Gefangenen waren.«
Man hörte Frau Söback kichern. Gut, dass Seifferheld sich diesen Informationshappen irgendwann einmal gemerkt hatte.
»Sie sind erst vor kurzem mit Ihrem Hobby an die Öffentlichkeit getreten und haben Ihre grandiose Arbeit
Leda und der Schwan
vorgestellt«, fuhr Frau Söback fort.
Seifferheld meinte, in der Ferne seine prüde Schwester Irmgard vor peinlichem Entsetzen aufjaulen zu hören. Unzählige Kissen hatte er mit unschuldigen Rosen-Motiven oder der Aufschrift
I love Germany
bestickt, aber natürlich musste Frau Söback ihn ausgerechnet auf diesen schlüpfrigen Wandbehang ansprechen.
»Ich sticke auch Elfen«, rutschte es aus Seifferheld heraus, und dieses Mal musste er an seine Ex-Kollegen von Mord zwo denken, die wahrscheinlich gerade in schallendes Gelächter ausbrachen. Aber nein, die konnten ihm ja gar nicht zuhören, die waren ja den Entführern auf den Fersen. Glück gehabt. Seifferheld atmete erleichtert auf.
Er spürte die sich langsam akkumulierende Verzweiflung von Frau Söback angesichts seiner megakurzen, knappen Antworten.
Nur zu verständlich. Wie sollten sie auf diese Weise fünfzehn Minuten mit Leben und Inhalt füllen?
Seifferheld räusperte sich. War er ein Mann oder eine Maus? Er riss sich zusammen.
»Was man stickt, ist doch egal«, erklärte er schon ein wenig selbstsicherer. »Das Sticken ist eine jahrtausendealte Kunstform. Und auch eine Art Meditation. Die Entdeckung der Langsamkeit, an deren Ende etwas Neues, Wunderschönes steht. Mir ist natürlich bewusst, dass das Sticken noch nicht allgemein als Männerhobby anerkannt ist. Aber die Zeiten ändern sich. Vor hundert Jahren hätte man Männer noch mit Gewalt an den Herd prügeln müssen, und heute ist Kochen eine angesagte Freizeitbeschäftigung, selbst für harte Kerle. Ich bin zuversichtlich, dass es sich mit dem Sticken ebenso verhalten wird.«
Na also, ging doch. Jetzt, wo er sich warmgeredet hatte, kam er allmählich richtig in Fahrt. »Natürlich rede ich hier nicht von Stickmaschinen. Echte Männer sticken von Hand und ohne Fingerhut!«
Vierzehn Minuten und dreißig Sekunden später musste ihm der anwesende Techniker mitten im Satz den Saft abstellen, denn Seifferheld kannte kein Halten mehr.
Wie sich später herausstellte, hatte niemand aus seinem Bekanntenkreis – auch keine seiner Frauen – die Sendung gehört. Aber am Abend bekam er von Frau Söbacks Sekretariat eine weitergeleitete E-Mail. Als Seifferheld den Mail-Anhang öffnete, erwartete er euphorische Beifallsbekundungen von einer Hohenloher Hausfrau, die ihm während der Sendung schmachtend an den Lippen gehangen hatte. Irgend so etwas wie: »Siegfried, du bist der Größte. Ich will ein Kind von dir.«
Stattdessen war es ein männlicher Hörer, der sich äußerte, und zwar kritisch: »Herr Seifferheld, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Ihre Aussagen zur Systematik der Stichformen unter besonderer Berücksichtigung der orientalischen Stickerei nicht überzeugend waren. Da erwarte ich künftig doch einiges mehr!«
Tja, so war es eben: Wer sich in die Öffentlichkeit begab, kam darin um.
Big Sister is watching you!
Irmgard Seifferheld-Hölderlein zog eine Augenbraue hoch. So hoch, dass sie beinahe auf den Haaransatz traf.
»Was meinen Sie damit, ›er ist nicht da‹?«
Sie saß, die Baskenmütze neckisch schräg auf dem Kopf, vor dem ausgedienten Laptop ihrer Nichte Karina und skypte. Oder wie immer man das auch nannte.
Noch vor einem Jahr hätte sie nicht geglaubt, sich in ihrem Leben jemals mit dem Internet auseinandersetzen zu müssen. Wenn man etwas wissen wollte, rief man bei Leuten an, die sich auskannten, oder schlug im Großen Brockhaus nach. Wozu sollte dieses Internet überhaupt gut sein? Zum Chatten? Am Anfang war das Wort und nicht das Geschwätz, wie schon Gottfried Benn zu sagen pflegte.
Aber dann war ihr plötzlich eines Tages schmerzlich bewusstgeworden, dass sie nicht als alte Jungfer ins Familiengrab auf dem Nikolaifriedhof sinken wollte. Sie hatte tatsächlich eine Online-Dating-Agentur bemüht und auf diese Weise den Mann gefunden, der ihr schon immer bestimmt gewesen war: Pfarrer Helmerich Hölderlein.
Genau genommen und im Grunde waren ihre
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