Finger, Hut und Teufelsbrut
Erfahrungen mit der Online-Dating-Agentur alles andere als zufriedenstellend gewesen, aber Irmgard meinte, die ordnende Hand einer höheren Macht zu spüren, als Helmerich und sie nach vielen Irrungen und Wirrungen endlich zueinanderfanden.
Und nun skypte sie also auch noch und hatte über ihren Laptop eine Internettelefonverbindung nach Afrika installiert, inklusive Webcambild. Doch sah sie auf dem Bildschirmdisplay nicht den Mann, den sie liebte, dem sie in guten wie in schlechten Tagen Liebe, Treue und Gehorsam geschworen hatte (Letzteres natürlich rein rhetorisch), sondern eine kugelrunde Afrikanerin in einem strahlend weißen, fast schon blendend grellen Krankenhauskittel. Kannten die da unten in Afrika etwa auch den
Weißen Riesen?
»Wo ist er?«, verlangte Irmgard von ihr zu wissen und kniff die Augen zusammen, was sie noch gestrenger aussehen ließ.
In Afrika war es jetzt Mittag. Irmgard wusste, dass Helmerich nicht durch die Dörfer zog und Heiligenbildchen verteilte. Seine Missionarsarbeit bestand hauptsächlich darin, das Krankenhausarchiv zu ordnen und allenfalls noch Kranke und Sieche geistig zu betreuen. Hielt er womöglich gerade in aufopferungsvoller Nächstenliebe die Hand eines Leprösen?
»Äh …«, fing Dr. Oima an. Sie mochte Helmerich, den »weißen Stinker«, wie er von allen genannt wurde. Wie sollte sie es seiner Frau beibringen? Im Prinzip war die Nachricht, die sie zu vermelden hatte, eine gute. Allerdings musste dabei in Betracht gezogen werden, dass alles im Leben nun mal zwei Seiten hatte. Das Letzte, was sie wollte, war, einen Misston in die Beziehung Hölderleins zu seiner Frau zu bringen. Wenn sie sich die hagere Weiße mit den schmalen Lippen so anschaute, glaubte Dr. Oima offen gestanden nicht, dass die Nachricht von der Spontanheilung des Pfarrers bei ihr auf viel Gegenliebe stoßen würde. Also, die Nachricht von der Heilung schon, nur nicht der Grund dafür.
»Nun?«, forderte Irmgard die Ärztin ungeduldig auf. »Wo … ist … mein … Mann?«, setzte sie noch eins drauf. Sie sprach bewusst langsam und betonte jede Silbe einzeln. Dr. Oima hatte ihr Medizinstudium zwar in Heidelberg absolviert, das wusste Irmgard, aber vielleicht hatte sie ihre Deutschkenntnisse unter der Tropensonne ja wieder verloren? Deutsch war angeblich die Sprache, die man schneller verlernte als alle anderen. Selbst als Deutscher.
Dr. Oima wusste, dass Lügen dem Herrn ein Greuel waren, insofern stand lügen für sie außer Frage. Aber eine kleine Ungenauigkeit half bisweilen, den eigenen Seelenfrieden zu wahren. Dabei kam ihr zugute, dass sie ein unglaublich ehrliches Gesicht hatte. Rund und ehrlich.
»Ihr Mann ist mit dem kleinen Bruder von Schwester Mary in den nächsten Ort gefahren. Wir brauchen neue Vorräte«, sagte sie, und das war nicht gelogen, denn die Vorratskammern waren in der Tat leer, und Hölderlein und Marys Bruder waren zusammen losgefahren. So, wie sie es sagte, musste man als ahnungsloser Dritter natürlich davon ausgehen, dass zwischen den beiden Sätzen ein logischer, innerer Zusammenhang bestand. Dem war nicht so.
»Aha.« Irmgard war ein wenig enttäuscht, dass nichts Schlimmes geschehen war. So furchtbar es klang, aber wenn das Buschkrankenhaus abgebrannt wäre oder ein Krokodil Helmerich ein Bein abgebissen hätte, dann wären das zumindest stichhaltige Gründe gewesen, warum er sich bei ihr nicht gemeldet hatte. Aber ein schlichtes »Vorräte auffüllen«? Unbefriedigend!
»Sagen Sie ihm, ich bin zu Hause und erwarte seinen Anruf.« Das war keine Bitte, sondern ein Befehl.
Bevor Dr. Oima noch etwas erwidern konnte, hatte Irmgard die Verbindung schon getrennt.
Dr. Oima atmete erleichtert auf. Genau in diesem Moment parkte Mugambi den Kleinlaster mit den Vorräten für die nächsten Tage vor ihrem Fenster und winkte ihr fröhlich zu. Mugambi war ihr Cousin dritten Grades und arbeitete als Koch und Mädchen für alles im Buschkrankenhaus. Ihm oblag es, die Vorräte aufzufüllen.
Völlig losgelöst von der Vorratsfrage waren Pfarrer Hölderlein und Marys kleiner Bruder hingegen zum nächsten Ort aufgebrochen. Helmerich wollte etwas ganz anderes als Lebensmittel kaufen. Nämlich Trommeln. Seit er nach seiner durchtrommelten Nacht keinerlei Symptome einer Reizverdauung mehr aufwies – und das, obwohl er zum Frühstück tonnenweise »Irio« gegessen hatte, einen Eintopf aus Bohnen, Kartoffeln, Mais und Spinat, den er noch dazu mit
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