Finger, Hut und Teufelsbrut
Herzblut. Zweifelsohne blickte der Allerhöchste in dieser Nacht auf ihn herunter und lächelte.
Im Gegensatz zu den Patienten und dem Personal des Buschkrankenhauses. Die lächelten, bei aller afrikanischen Gelassenheit, nicht. Und so erklang denn gegen drei Uhr nachts Ortszeit der verzweifelte Ruf: »Kann nicht mal jemand dem weißen Stinker Einhalt gebieten!«
Was ein klitzekleines bisschen unfair war, denn Hölderlein stank ja gar nicht mehr. Seine Blähungen gehörten der Vergangenheit an. Seine Reizverdauung war nur noch eine blasse Erinnerung.
Ein Wunder war geschehen. Er war geheilt!
Helmerich trommelte heftiger.
Verzweifelte Schwarzafrikaner seufzten.
Die Hölle, das sind die anderen. (Sartre)
Karina legte den Hörer auf.
Alle hatten zugesagt. Jetzt war es nur noch eine Frage von Stunden.
So merkwürdig der Heidelberger Genetik-Guru auch gewesen sein mochte, das Gespräch mit ihm hatte ihr gutgetan. Jetzt wusste sie endlich, was Sache war. Schluss mit dem pausenlosen Nachdenken, warum ihr Baby so war, wie es war. Dieses ständige Grübeln, das sie seit der Geburt wie ein Dämon auf Schritt und Tritt begleitet und wie ätzende Säure jede Begeisterung und jedes Interesse zerfressen hatte, das sie für andere Menschen oder Dinge früher immer empfand.
Was jetzt noch an losen Fäden herumbaumelte, würde morgen zu einem Knoten geschlungen werden.
Tagebuch der Karina Seifferheld:
Meine Eltern haben immer gesagt: »Ja, ja, jetzt tobst du dich noch aus und schreibst Gedichte und verliebst dich täglich neu und bist Mitglied bei Amnesty International und bei Peta und machst verrückte Sachen wie Schlachttiere befreien. Aber das ist nur eine Phase. Irgendwann wirst du erwachsen und dann wächst du aus diesen Dingen heraus. Spätestens wenn du ein Kind bekommst, gehört das alles der Vergangenheit an«.
Nachdem mein süßer, gelber Wonneproppen aus mir herausgepurzelt ist, war ich eine Zeitlang versucht, meinen Eltern recht zu geben. Das Leben schien auf einmal so kompliziert, und die Verantwortung für den Mini-Buddha lastete schwer auf mir.
Aber he, langsam merke ich, dass ich noch die Alte bin. Und ich will meinem Kleinen eine Welt hinterlassen, in der es sich zu leben lohnt. Ich werde ein Zeichen setzen.
Ich bin wieder da!!
Karina lauschte in die Nacht. Von fern hörte sie das Radio im Wohnzimmer und das Schnarchen von Onis.
Sie würde noch ein bisschen warten müssen. Machte nichts.
In der Wartezeit konnte sie die Strumpfmaske für Klein Fela stricken, farblich passend zum Tragetuch …
Ich will meinen Schnuller wiederhaben!
Unerträglich. Nicht auszuhalten. Furchtbar.
Seifferheld krümmte sich in seinem Lieblingsohrensessel im Wohnzimmer. Das Zuhören bereitete ihm körperliches Unbehagen.
Irmgard saß mit spitzem Gesicht neben ihm. Anscheinend empfand sie ebenfalls Unbehagen, hatte ihre Muskulatur jedoch besser im Griff.
Aus dem Radio ertönte – in der nächtlichen Wiederholung einzelner SWR 4 -Sendehappen – Seifferhelds Stimme. Natürlich hatte er im Laufe seines Lebens schon Aufzeichnungen seiner Stimme gehört. Auf seinen diversen Anrufbeantwortern und einmal sogar im Fernsehen, als er während einer Demo in die gewaltbereite Menge rief: »Ruhe jetzt oder Sie lernen mich kennen!« Aber so entsetzlich hatte er noch nie geklungen. Blechern. Ja genau, er klang blechern.
»Als Anfänger kann man auch auf fertige Stickpackungen zurückgreifen, die es in jedem Handarbeitsgeschäft gibt und in denen Motivvorlage, Anleitung, Nadel und Garne bereits enthalten sind. Ich rate aber von Packungen aus China ab, denn oftmals geben diese Sachen tagelang unangenehme Ausdünstungen von sich.«
War das jetzt politisch unkorrekt? Hätte er China nicht namentlich erwähnen dürfen?
Er sah zu seiner Schwester.
Ihre Lippen waren nur noch ein dünner Strich. Nur ihre tiefe schwesterliche Liebe zu ihm hielt sie davon ab, ihr vernichtendes Urteil zu sprechen, da war sich Seifferheld ganz sicher.
Aber damit lag er falsch. Nicht mit der schwesterlichen Liebe, die war schon vorhanden. Irgendwo. Tief drinnen. Doch dass Irmgard in diesem Moment nichts sagte, lag allein daran, dass sie überhaupt nicht zuhörte, sondern an ihren Gatten dachte und daran, warum der sich immer noch nicht gemeldet hatte.
Ob Dr. Oima ihm nicht ausgerichtet hatte, dass er zu Hause anrufen sollte? Hatte Helmerich –
ihr
Helmerich – bei dieser Ärztin etwa unzüchtige Begehrlichkeiten geweckt? Was war diese Oima
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