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Finger, Hut und Teufelsbrut

Finger, Hut und Teufelsbrut

Titel: Finger, Hut und Teufelsbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Kruse
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Datenbank ein passendes Idiom gefunden. »Sie hat in dieser Bekanntschaft die Hosen an!«, fügte er hinzu, als habe er soeben einen Geistesblitz gehabt.
    Na also. Seine mentale Datenbank hatte ihm wieder ein Idiom geliefert. Und wie es sich für einen Tenor gehörte, fing er daraufhin an, eine Triumph-Arie aus einer Händel-Oper zu schmettern.
    Onis jaulte mit.
    Ich will mich kurzhalten und darum bin ich schon fertig. (Komplettrede von Salvador Dalí)
    Seifferheld schluckte schwer. Er hatte mal gelesen, dass sich die Menschen laut einer Umfrage am meisten davor fürchteten, vor anderen eine Rede zu halten. Erst an zweiter Stelle kam die Furcht vor dem Tod. Bei einer Trauerfeier würden also die meisten lieber im Sarg liegen wollen, als die Abschiedsrede zu halten.
    Seifferheld konnte das sehr gut nachvollziehen. Was ihm vor Übermüdung bislang an Nervosität gefehlt hatte, stellte sich beim Betreten des kleinen Studios schlagartig ein. Inklusive übermäßigen Schwitzens und völlig ausgetrockneter Kehle. Er leckte sich mehrmals die Lippen, aber es half nichts.
    Seifferheld saß mit unschönen Schweißflecken unter den Achseln im schalldichten Aufnahmestudio des SWR -Korrespondentenbüros in der Gelbinger Gasse und litt Höllenqualen.
    Das Korrespondentenbüro war eine Außenstelle des SWR- Studios Heilbronn, das für die Landkreise Heilbronn, Hohenlohe, Schwäbisch Hall und Main-Tauber zuständig war. Fast neunhunderttausend Menschen konnten das Programm des Senders empfangen. Seifferheld schluckte neuerlich, was ihm eine kolossale Anstrengung abnötigte. Selbst wenn nur zehn Prozent … ach was, selbst wenn nur ein Prozent der potenziellen Hörer ihr Radio gerade eingeschaltet hatten, dann lauschten ihm in diesem Moment neuntausend Menschen. Und wurden dabei zweifelsohne Zeugen seiner Unfähigkeit, vollständige Sätze zu formulieren. Wieso hatte er sich nur dazu breitschlagen lassen?
    Jetzt hörte er auch schon die Stimme von Frau Söback, die aus dem Studio Heilbronn zugeschaltet war. Sie hatte es tatsächlich durchgesetzt, dass Seifferheld von nun an einmal die Woche fünfzehn Minuten über das Sticken sprechen und Hörerfragen zum Thema beantworten sollte. Im Vorgespräch gerade eben hatte sie ihn mit den Worten »Man muss die Sau schlachten, solange sie fett ist« überredet, den frei gewordenen Sendeplatz fest zu belegen. Ein entsprechender Vertrag lag schon für ihn bereit, und sie drängte ihn, die Papiere auch gleich zu unterzeichnen. Mindestens drei Monate lang einmal die Woche auf Sendung. Dabei hatte er noch nicht einmal für diese eine Sendung etwas vorbereiten können, worüber sollte er bloß die restlichen elf Mal reden? Frau Söback hatte ihn vertröstet und gemeint, beim ersten Mal beschränke sich die Sendung ohnehin mehrheitlich darauf, ihn den Hörerinnen und Hörern vorzustellen, und für später würde ihm schon was einfallen. »Man soll die Brücke erst überqueren, wenn die Eier gelegt sind«, hatte sie gesagt. (Frau Söback brachte ihre Sprichwörter gerne mal durcheinander.)
    Eine rote Lampe leuchtete auf.
    »Ich darf Ihnen nun Siegfried Seifferheld aus Schwäbisch Hall vorstellen. Der ehemalige Kommissar der dortigen Mordkommission ist seit vielen Jahren ein versierter Sticker und wird uns und Sie von heute an regelmäßig an seinem Wissen teilhaben lassen. Herr Seifferheld, Sticken ist für Männer ja immer noch ein eher ungewöhnliches Hobby. Wie kamen Sie dazu?«
    Seifferheld fand es schwierig, dass er seine Gesprächspartnerin nicht sehen konnte. Er sah durch das Studiofenster nur die Dächer des Kocherquartiers und sehr viel blauen Himmel. Und natürlich das schwarze Mikro, das ihm tendenziell Angst einjagte und ihn in diesem Moment an ein schwarzes Loch erinnerte, das ihn zu verschlingen drohte.
    »Nun ja … äh«, fing er an, und ein Schweißtropfen kullerte ihm über die Stirn. Er erlebte nun am eigenen Leib, dass das menschliche Gehirn bei der Geburt die Arbeit aufnahm und niemals aufhörte – bis zu dem Augenblick, in dem man öffentlich etwas sagen sollte. »Äh … ich habe mir das Sticken nicht ausgesucht, das Sticken hat sich mich ausgesucht«, brachte er mühsam hervor. War das jetzt grammatikalisch richtig? Herrje!
    Frau Söback, ganz Profi, hatte die einsetzende Gesprächspause, die es im Radio natürlich nicht geben durfte, antizipiert und fuhr ohne Umschweife fort: »Kennen Sie noch andere Männer, die sticken?«
    »Äh, nein. Also, keine lebenden. Aber der

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