Finger, Hut und Teufelsbrut
die Augen zu schauen, und registrierte folglich seine Reaktion nur aus den Augenwinkeln. Seine mageren Arme sanken seitlich herab, seine Augen wurden tellergroß und … ach herrje, waren das etwa Tränen?
Lüge, lüge was das Zeug hält,
rief es in Dr. Oima, und Dr. Oima, die sonst nie log, plapperte: »Es tut mir so leid, aber wir sind ein sehr rückständiger Zipfel der Erde (von wegen, hier besaß jeder Erwachsene mindestens ein Handy, die meisten zwei), wir wissen nichts von der Welt (nur das, was man aus den über siebenhundert Sendern aus allen Kontinenten erfuhr, die jeder Haushalt per Satellit empfing), die Menschen hier haben immer noch Angst vor den weißen Kolonialisten (weswegen auch alle, die es sich leisten konnten, ihre Kinder nach Europa und Amerika zum Studium schickten und der Provinzrat gerade eine Großbaustelle für ein gewaltiges Ferienanlagenprojekt speziell für englische und deutsche Touristen abgesegnet hatte) … wie kann ich es Ihnen nur leichtermachen?« Dr. Oima schaute jetzt mindestens so gequält wie Hölderlein.
Hölderlein sah aus dem Fenster in die Nacht. Fast eine Woche war er hier ein und aus gegangen. Hatte die Menschen kennengelernt. Hatte an ihrem Leben teilgenommen. Hatte ihre Lebensfreude in sich aufgesaugt. Er liebte die Menschen hier, und sie liebten ihn.
»Die Leute hier haben mich gebeten, Ihnen auszurichten, wie dankbar sie Ihnen für Ihren selbstlosen Einsatz sind, aber sie möchten, dass Sie wieder nach Hause zurückkehren, wo Ihre liebende Frau schon sehnsüchtig auf Sie wartet.«
Den genauen Wortlaut der Petition –
Schick den weißen Stinker, der Lärm macht, wenn er nicht stinkt, in die Wüste! Und zwar pronto!
– ließ sie besser unerwähnt.
Hölderleins Schultern sackten nach unten.
Dr. Oima brach es fast das Herz. Aber nur fast. Sie brauchte endlich wieder ihre Nachtruhe. Außerdem hatte eine kurze Überprüfung gezeigt, dass Hölderlein unfähig war, das Archiv zu ordnen, im Gegenteil, er legte alles falsch ab und brachte auch das noch in Unordnung, was von seinen Vorgängern korrekt einsortiert worden war. Der Mann musste weg. Je eher, desto besser.
»Die Wege des Herrn sind unergründlich«, sagte Dr. Oima und bedeutete dem Bruder von Schwester Mary durch die offene Tür hindurch, er solle schon mal das Gepäck des Pfarrers holen, das Schwester Mary trotz Doppelschicht bereits gepackt hatte.
»Amen«, flüsterte Hölderlein.
»Sehen Sie es doch so: Vielleicht will der Herr, dass Sie den Geist Afrikas in Ihre Heimat tragen«, flötete Dr. Oima. Sie dachte ganz kurz daran, welchen Fluch sie über die Deutschen brachte, wenn sie Hölderlein mit seiner Trommel nach Hause entließ, aber es war ihr egal: besser die als sie.
»Ja genau!«, strahlte Hölderlein plötzlich auf. Er nahm seine Trommel in beide Arme. »Ich kehre nach Hause zurück und werde im Namen des Herrn trommelnd durch Deutschland ziehen!«
Amen,
dachte Dr. Oima und sprach ein kurzes Gebet für ihre alten Studienfreunde in Heidelberg …
Ich kann nicht kochen. Der Rauchmelder ist mein Küchenwecker. (Carol Siskind)
Es war wieder Kuscheln angesagt.
Doch ja, es gab so Tage, an denen man die Welt besser aushielt, wenn man einen anderen Menschen im Arm hatte.
Allerdings war es aber ein jugendfreies, öffentliches Kuscheln mit Zuschauern im
Chez Klaus.
Zwischen vielen anderen Gästen sahen sich MaC und Siggi das erste Entführungsvideo an, bei dem der Kulturattaché als frisch Gekidnappter noch eine äußerst gute Figur gemacht und zuversichtlich in die Kamera geschaut hatte.
Für die Anwesenden war das aber keine schöne Aufgabe, denn sie wussten ja jetzt, dass die Entführung nicht gut enden würde, das machte den Anblick des Inders umso tragischer.
Der Chefredakteur hatte MaC damit beauftragt, über diese ebenso spektakuläre wie tragische Entführung in Schwäbisch Hall zu berichten. Nicht aus Sicht der Weltpresse, denn die hatte sich bereits mächtig ins Zeug gelegt. Der
Spiegel
hatte den Fall als Aufhänger für einen Bericht über die politisch-kulturelle Beziehung zwischen Deutschland und Indien genützt, die
Bunte
berichtete über den Glamour megareicher Inder, die ihre Hauselefanten angeblich von Prada und Armani einkleiden ließen, die
Zeit
interviewte einen indischen Philosophen zum Thema »Gewalt und Gewaltlosigkeit«, und die
BILD
brachte eine Übersicht aktueller Bollywoodproduktionen mit vielen Fotos von spärlich bekleideten, weiblichen
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