Finger, Hut und Teufelsbrut
Hauptdarstellerinnen.
Nein, das war es nicht, was MaCs Chefredakteur vorschwebte, sondern vielmehr ein Beitrag über die Betroffenheit der Haller Bürger. »Dem Volk aufs Maul schauen« lauteten seine exakten Worte. Er wollte Eindrücke, Betroffenheitsbekundungen, Entsetzen, ungeschminkte Kommentare.
Zu diesem Zweck wurde das Video von der Entführung im frisch eröffneten
Chez Klaus
gezeigt. Natürlich nicht das zweite Video von der Ermordung, nur das erste, wie Mohandra Johar gefesselt auf dem Stuhl saß und seine Familie und seine Regierung bat, ihn mit einem Millionenbetrag auszulösen.
Er wirkte so unglaublich sicher, dass man ihn auslösen würde. Nicht der Hauch eines Zweifels umgab ihn. Tragisch, einfach unfassbar tragisch.
MaC war zwar im Dienst, aber dennoch schmiegte sie sich zärtlich in Seifferhelds Arm. Was die Anwesenden an Kommentaren von sich gaben, konnte sie auch in der Kuschelhaltung mitschreiben.
Weil Klaus als reicher Erbe und Mäzen des Bistros eine riesige Anzeigenkampagne gestartet hatte – genauer gesagt zwei Anzeigen im
Haller Tagblatt
und eine Anzeige im kostenlosen
Wochenblatt
–, saßen nicht nur Bocuse, Klaus und Seifferheld im Bistro, sondern auch zwei kahlgeschorene Männer im Karohemd-Partnerlook, die man auf dem Wochenmarkt öfters sah und die immer Händchen hielten, dann noch Bauer zwo, der dienstfrei hatte, sowie Olga, die nicht-putzende Putzfrau der Seifferhelds, und ein ihnen allen fremder Rentner.
»Gott, sein sich furchtbar«, seufzte Olga und sog geräuschvoll Cola durch ihren Strohhalm. »So eine hübsche, junge Mann.«
»Entsetzlich«, sagte einer der beiden Partnerlookjungs. »Sind das echte Zegna-Schuhe?«
MaC schrieb eifrig mit.
Pling
machte es hinter der Theke.
»Klaus! Baguette! Mikrowelle!«, rief Bocuse, der Pernod trinkend mitten unter seinen Gästen saß. Er habe »Rücken«, hatte er Klaus zur Eröffnung gesagt und ihm die Schürze gereicht. Seitdem hatte Bocuse keinen Finger mehr im Bistro gerührt.
Klaus – für den immer das Motto »Päuschen mit Kläuschen« gegolten und der als sorglos reicher Erbe in seinem ganzen Leben noch keinen einzigen Tag gearbeitet hatte – stellte sich der Herausforderung. Mit Bravour!
So fischte er auch jetzt das Fertigbaguette mit spitzen Fingern aus der Mikrowelle, schnitt es in bissfreundliche Quer-, Längs- und Schräghappen und servierte es den Gästen auf Papptellern. Richtiges Geschirr gab es noch nicht. Und auch kein richtiges Baguette. Doch das Express-Baguette des Herstellers mit dem Beinahe-Eskimonamen war laut Bocuse »total nah am französischen Original, sowohl in der Optik als auch im Geschmack.« Er selbst aß es allerdings nicht.
Klaus ging mit der Kanne durch das Bistro und schenkte den anwesenden Kaffeetrinkern ihr Lieblingsheißgetränk nach. Das war zwar mehr amerikanisch als französisch, aber es gab derzeit mangels Masse nur Kaffee, Cola, Pils und noch eine letzte Flasche Pernod (die hatte Bocuse im Alleingang schon so gut wie geleert und damit der goldenen Regel entsprochen, dass der Wirt selbst immer sein bester Kunde ist).
»Das hätte es zu meiner Zeit nicht gegeben!«, wetterte der Rentner. Da er mitten unter ihnen saß und kräftig grölen konnte, war es ja streng genommen immer noch »seine Zeit«, aber das schien er anders zu sehen.
»Boar, heiß«, sagte Bauer zwo und pustete so heftig auf seinen Baguettehappen, dass eine Salamischeibe in hohem Bogen in sein Colaglas flog. Bauer zwo focht das nicht weiter an. Er fischte die Salami aus dem Glas, legte sie so, wie sie war, also colafeucht, wieder auf das Baguette, biss hinein und meinte fröhlich mit vollem Mund: »Schon viel kühler. Das mach ich jetzt immer so.«
Auf dem Bildschirm, über den beim Vorbesitzer immer Bundesligaspiele zu flimmern pflegten, bat der Kulturattaché gerade um die Millionensumme.
»Das ist gar nicht lippensynchron«, beschwerte sich Bauer zwo mit vollem Mund.
Hm.
Das stimmte. Der Ton hinkte dem Bild hinterher.
Seifferheld nahm seinen Arm von MaCs Schulter und richtete sich auf. Das Video war in exzellenter High-Definition-Qualität aufgenommen worden. Er wusste von seinen Ex-Kollegen, dass man die Standbilder enorm vergrößern konnte und dennoch jedes Detail gestochen scharf sah und nicht völlig verpixelt. Wieso hatte man sich bei so viel exklusiver Technik die Mühe gemacht, eine zweite Tonspur über die erste zu legen? Waren bei der Originalaufnahme Hintergrundgeräusche zu hören, die den
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