Fingermanns Rache
Stütze auskommen. Da hat er eben nur noch gebettelt.«
»Nur noch?«
»Klar. Die Hilfe zum Lebensunterhalt, wie es so schön heißt, reicht gerade mal zum Überleben. Wenn du so an der Flasche hängst wie Wilbur, muss schon noch was nebenher reinkommen.«
»Seit wann kennen Sie ihn?«
»Zum ersten Mal aufgetaucht ist er vor ungefähr zehn Jahren. Er sah damals schon ziemlich abgerissen aus. Zwischendurch verschwindet er immer mal wieder für eine unbestimmte Zeit. Wohin, das weiß ich nicht.«
»Hat er irgendwelche zwielichtigen Bekannte?«
»Zwielichtig sind hier alle«, bemerkte Drost trocken und lenkte dann ein. »Nein, ich denke, ich weiß, was Sie meinen. Und solche Typen zeigen sich hier nicht. Was sollen die mit den armen Schluckern auch anfangen?«
Marion ließ die Frage im Raum stehen und zeigte ein Foto von Fabian Flaig. »Kennen Sie den jungen Mann?«
Drost schüttelte den Kopf.
»Gut. Das war’s auch schon«, sagte Marion, während sie das Foto wieder verstaute. »Vielen Dank, Herr Drost.«
Der Sozialarbeiter hakte jedoch nach: »Warum wollen Sie das alles eigentlich wissen? Ist was mit Wilbur?«
»Nein. Er hilft uns nur bei einer Ermittlung.«
»Und da forschen Sie in seiner Vergangenheit?«
»Das gehört zur Polizeiroutine. Also, schönen Tag noch.«
Marion bemerkte Drosts skeptischen Blick, als sie ihm die Hand gab und ging. Im Eingangsbereich lag das BERLINER TAGESGESCHEHEN aus. Sie fragte sich, wie lange man die Geschichte noch geheim halten konnte.
*
Max hatte seinen Platz vor dem Blumenladen verdient. Er war immer sauber angezogen und rasiert. Er achtete darauf, dass auf seinem Platz alles ordentlich war. Wenn einer auf der Bank rechts neben dem Blumenladen eine Dose oder Ähnliches liegen ließ, warf er es in den Mülleimer. Seine Habseligkeiten hatte er immer bei sich. Ein Schließfach war viel zu teuer, und in den Tageseinrichtungen war zu wenig Platz. Vor allen Dingen wurde da zu viel geklaut. Es passte alles in den großen Rucksack. Der Rucksack war noch echte Wertarbeit. So einer mit Gestell und vielen kleinen Taschen. Selbst das Etikett war noch dran. »Modell Everest« stand darauf. Den Rucksack lehnte er an die Bank. Das durfte er. Der Besitzer des Blumenladens hatte es ihm erlaubt. So hatte er auch immer einen Platz zum Hinsetzen, wenn ihm die Beine wehtaten. Zehn Stunden stehen war ganz schön anstrengend. Den STRASSENRAND hielt er in der Hand. In zwanzig Exemplare hatte er investiert. Verkauft hatte er noch keines, aber das würde schon noch werden. Max kannte sich aus in seinem Geschäft – er war ein guter Verkäufer.
Die Frau fiel ihm sofort auf. Ihre Figur regte seine Phantasie an. Die Frau steuerte auf ihn zu. Max roch an sich und war zufrieden. Er hatte heute morgen geduscht.
»Sind Sie Max Dreiklang?«
Max wusste nicht, was ihn mehr irritierte: die überraschende Frage oder die Nähe dieser Frau.
»Ja«, sagte er zögerlich.
»Marion Tesic, LKA Berlin.« Die Frau zeigte einen Ausweis. »Ich hätte ein paar Fragen an Sie.«
Einen Augenblick lang war Max sprachlos, dann zeigte er seinen Verkäuferausweis. »Max Dreiklang, Verkäufer.«
Die Frau lächelte, und Max sagte: »Polizistin passt nicht zu Ihnen. Eher so eine Frau, die anderen zuhört, die Leuten hilft, die mit dem Leben nicht zurechtkommen, die auch mal das Schöne sehen sollten. Das wäre genau richtig für Sie.«
»Ich glaube, das war ein Kompliment. Vielen Dank.« Marion Tesic wirkte verlegen. Dann wurde ihr Ton geschäftlich. »Ist Ihnen dieser junge Mann bekannt?« Sie zeigte Flaigs Foto.
Max verneinte.
»Kennen Sie Wilbur Arndt?«
»Wilbur? Gewiss. Wo steckt der denn? Seit zwei Tagen halte ich seinen Schlafplatz frei. Ist gar nicht einfach.«
»Herr Arndt hat im Moment eine andere Bleibe. Würden Sie mir ein paar Auskünfte zu seiner Person geben?«
Max nickte.
»Was treibt Herr Arndt so den ganzen Tag?«
»Er säuft. Und wenn er nicht säuft, dann schläft er. Und manchmal stellt er sich auf eine Kiste und sagt wichtige Dinge.«
»Was für Dinge?«
»Irgendwas mit Bewusstsein und Universum im Kopf. Versteh ich alles nicht. Ach ja. Und betteln tut er.« Max winkte ab.
»Ist das schlimm?«
»Verdirbt das Geschäft. Die Leute meinen dann, man würde auch betteln. Dabei arbeite ich.«
»Können Sie davon leben?«
»Reicht grad so. Bin seit fast einem Jahr trocken. Es geht aufwärts. Wenn ich dann aber die anderen sehe … Was die in zwei Stunden absahnen, krieg ich an einem
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