Fingermanns Rache
spürte sie nicht. Schnell breitete sich der Tranquilizer aus, und Rensch gab ihren Widerstand auf.
Peter Illsen nahm die Akten zur Hand und überflog sie. Weitere Beamte betraten den Keller und wurden von Mendel instruiert. Die Staatsanwältin wurde ins Krankenhaus gebracht. Mendel trat neben Illsen.
»Und? Lohnt es sich, dafür so einen Aufstand zu machen?«, fragte er.
»Wohl schon. Wenn das alles stimmt, ist die Rensch erledigt«, entgegnete Illsen.
*
Schortens wohnten in einer ruhigen Gegend. Das Doppelhaus und das parkähnliche Grundstück zeugten von einem gehobenen Lebensstandard. Marion war zum ersten Mal hier und schaute sich interessiert um. Wie wenig sie doch von Schorten wusste. Da arbeitete man schon jahrelang zusammen, doch Privates blieb immer außen vor. An der Haustür vergewisserte sie sich, ob sie richtig war. Ein Messingschild, eingelassen in einem gusseisernen Briefkasten, wies auf die Familie Schorten hin.
Marion betätigte die Klingel. Im Haus blieb es ruhig. Auch nach dem zweiten und dritten Läuten tat sich nichts. War Schorten nicht da? Marion trat einen Schritt zurück und spähte in die Küche. Sie glaubte, einen Schatten gesehen zu haben. Abermals klingelte sie, jetzt aber Sturm.
Endlich vernahm sie ein Geräusch. Die Tür wurde aufgeschlossen, sie war mehrfach gesichert. Es dauerte eine Weile, bis sie sich öffnete, und das nur einen Spalt.
Schorten blinzelte in die tief stehende Abendsonne. Er trug einen ausgeleierten grauen Jogginganzug und sah schrecklich aus: unrasiert, die Augen rot unterlaufen, das Gesicht aufgedunsen. Sein Atem war alkoholgetränkt.
»Sie haben mich angerufen«, sagte Marion.
Schorten runzelte die Stirn und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Seine Antwort kam zögerlich. »Ja, stimmt. Muss gestern Abend gewesen sein. Sie sind nicht rangegangen.«
»Aber jetzt bin ich hier. Sie sagten, Sie hätten etwas Interessantes entdeckt.«
»Oh, ja. Das habe ich.«
»Ich habe auch einiges zu berichten und zu fragen. Aber wollen Sie mich nicht erst hereinlassen?«
Schorten blickte unsicher an sich hinunter. »Das ist im Moment ziemlich ungünstig. Wissen Sie, es ist nicht aufgeräumt. Können wir uns nicht in einem Café unterhalten?«
»Nein, unmöglich. Die Zeit drängt. Die Staatsanwältin wird nicht Arndts letztes Opfer gewesen sein.«
In Schortens Gesicht arbeitete es. »Entschuldigen Sie, aber ich kann nicht. Ich bin sehr beschäftigt.«
»Dann helfe ich Ihnen.« Mit sanfter Gewalt drückte Marion gegen die Tür.
Schorten seufzte und trat zurück. »Ist sowieso alles egal.«
Ein Windfang trennte den Eingang von der Wohnung. Schorten forderte Marion auf, ein Paar der bereitstehenden Hausschuhe anzuziehen, was sie befremdlich fand, da der Boden mit Schaumstoffresten übersät war. Im Gang musste sie darauf achten, dass sie nicht in Glasscherben trat. Durchwühlte Schubladen einer Kommode standen offen, ein Stapel Zeitschriften versperrte den Weg. Schorten hob eine auf, legte sie auf die Kommode, schob die anderen mit dem Fuß beiseite und trottete dann weiter. Währenddessen murmelte er irgendetwas von einer Putzhilfe, die keine Zeit gehabt habe. In der Küche ein ähnliches Bild: eine offen stehende Spülmaschine, gefüllt mit schmutzigem Geschirr. In der Spüle abgestandenes Wasser, gebrauchte Teller und Gläser. Aus einem Unterschrank quoll Abfall. Es roch säuerlich.
»Wollen Sie einen Kaffee?« Unbeholfen hantierte Schorten an der Kaffeemaschine und suchte nach einer ungebrauchten Tasse. »Die Spülmaschine ist kaputt, wissen Sie. Ich hab versucht, den Service zu erreichen, aber es war Sonntag. Und am Montag hatte ich keine Zeit. Und dann die Unordnung. Bevor ich jemanden kommen lasse, muss doch erst aufgeräumt sein. Eigentlich hätte ich schon viel früher anrufen sollen, aber da habe ich nicht mit solchen Problemen gerechnet. Hätte ich rechtzeitig reagiert, dann hätte ich eine Putzhilfe oder eine Haushälterin organisiert. Aber wer konnte ahnen, dass mir alles so aus dem Ruder läuft.«
Was redete Schorten für wirres Zeugs? Marion wähnte sich einem Fremden gegenüber. Fassungslos beobachtete sie ihren ehemaligen Chef, wie er sich auf einen Stuhl setzte und in ungeordneten Sätzen von den letzten Tagen berichtete. Er sprach von einer unsäglichen Wut, die ihn die halbe Wohnung verwüsten ließ. Von dem Drang zu zerstören, was seiner Frau lieb und teuer war. Er erzählte von dem Doppelleben seiner Frau, von seinem illegalen Eindringen
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