Fingermanns Rache
wartete er auf ihre Reaktion. Marion richtete sich sofort auf. Ihr stach die Zeichnung eines Mannes ins Auge, der ein Ebenbild Wilbur Arndts war.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte sie konsterniert.
»Gute Frage«, entgegnete Schorten. »Fakt ist, dass ich diese Platte in der Zweitwohnung meiner Frau gefunden habe, und zwar so drapiert, dass ich sie sehen musste. Es ist, als hätte Wilbur Arndt seine Visitenkarte hinterlassen, um mich auf seine Spur zu locken.«
»Die Ähnlichkeit ist verblüffend. Ist das wirklich das Originalcover?«
»Ja. Jeder, der sich für Rockmusik interessiert, kennt es. Dass ich Arndt nicht von Anfang an damit in Verbindung gebracht habe, ärgert mich maßlos.«
»Nun, diese Verbindung ist auch nicht gerade naheliegend«, gab Marion zu bedenken. »Trotzdem müssen wir uns fragen, was Arndt damit bezweckt.«
»Mir fällt dazu nichts Sinnvolles ein. Ich kann nur sagen, dass mich das Ganze äußerst irritiert; es hat etwas Bedrohliches an sich.«
Marion schaute auf, Schorten wich ihrem Blick aus. Auch ich habe ein ungutes Gefühl, dachte sie. Es ist ähnlich wie bei der falschen Frau Eisen – die Realität gerät ins Wanken, man stellt absonderliche Vermutungen auf.
»Betrachten wir es nüchtern«, sagte sie, um ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben. »Wilbur Arndt war auf der Suche nach einer anderen Identität für seine Pläne. Er weiß von seiner Ähnlichkeit mit Aqualung. Da er einen Hang zur Extravaganz hat, nimmt er das Aussehen dieser Phantasiegestalt an und wird zum Obdachlosen. Eine Rolle, die er über Jahre hinweg beibehalten hat.«
»So könnte es gewesen sein«, stimmte Schorten zu.
»Gut, so weit sind wir uns also einig. Was hat Arndt aber mit Ihnen zu tun? Warum macht er Sie auf sich aufmerksam? Und warum macht er Sie so fertig?«
»Nun, vielleicht will er sich aus irgendeinem Grund an mir rächen.«
»Kennen Sie denn einen Grund?«
»Nein. Wilbur Arndt ist mir erst seit dem Entführungsfall bekannt. Zuvor hatte ich nichts mit ihm zu tun.«
»Dann sind Sie ihm vielleicht gar nicht wichtig, vielleicht führt er Sie nur vor, weil er Sie nicht ausstehen kann. Vielleicht ist die Sache mit Ihnen nur eine kleine Gehässigkeit, die sich zufällig ergeben hat.«
Marion hielt inne. Die eigentliche Frage war doch, was Arndt mit Schortens Frau zu tun hatte. Der Frau, die mit ihrem Liebhaber durchgebrannt war und von der es seit Tagen kein Lebenszeichen mehr gab. Selbst wenn vieles für eine ganz normale Ehetragödie sprach, konnte doch mehr dahinterstecken. Ein abenteuerlicher Gedanke zwar, doch ein Versuch war es wert.
»An was denken Sie?«, fragte Schorten.
»Es ist nur eine Vermutung. Können Sie mir den Vor-und Mädchennamen Ihrer Frau nennen?«
»Cordula Bürk«, antwortete Schorten knapp.
»Cordula Bürk«, wiederholte Marion leise und fügte dann etwas lauter an: »Ist Cora nicht eine Kurzform von Cordula?«
»Ja, sicher. Und warum wollen Sie das wissen?«
Marion ignorierte Schortens Frage und zeigte ihm, um ganz sicher zu sein, das Bild der beiden Wärterinnen. »Können Sie darauf Ihre Frau erkennen?«
Schorten kniff die Augen zusammen, seine Hand zitterte leicht. »Schwer zu sagen. Ich kenne keine Bilder aus Cordulas Jugend. Auch nicht aus ihrer Kindheit. Eigentlich seltsam, nicht wahr?«
Marion zuckte mit den Schultern und sagte: »Konzentrieren Sie sich bitte, es ist wichtig.«
Schorten nahm sich etwas Zeit und entgegnete dann zögerlich: »Ja, ich würde schon sagen, dass sie es ist. Auch das andere Mädchen kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»Kein Wunder. Das ist Hilde Rensch. Sie und Ihre Frau waren Jugendfreundinnen.«
»Die Staatsanwältin? Das ist mir neu.« In Schortens Gesicht begann es zu arbeiten, sein kriminalistisches Gespür war geweckt. »Hilde Rensch wurde von Arndt entführt. Einige Tage zuvor verlässt mich meine Frau. Sie vermuten hier einen Zusammenhang.«
Marion nickte, und über Schortens Gesicht huschte ein unpassendes Lächeln. »Sie glauben also, dass meine Frau ebenfalls entführt worden ist.«
»Ja.«
Schorten triumphierte. »Dann hat sie mich gar nicht verlassen, ich hatte von Anfang an recht.«
Ungläubig starrte Marion Schorten an. »Die Situation ist sehr ernst, Herr Schorten. Arndt wird bei Ihrer Frau nicht anders verfahren als bei der Staatsanwältin. Ich nehme an, Sie kennen das Video aus dem Internet.«
»Natürlich, Frau Tesic«, sagte Schorten geflissentlich und versuchte ein betroffenes Gesicht zu
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