Fingermanns Rache
die Sie von Frau Tesic haben, die sind wirklich wasserdicht?«
»Sie basieren auf der Aussage eines ehemaligen Heiminsassen. Was er sagt, klingt plausibel, konnte aber mangels Zeit nicht überprüft werden. Unabhängig davon muss es sich bei dem Toten um Arndts eineiigen Zwillingsbruder handeln – DNA -Analyse und die Sache mit den Fingern sprechen eine eindeutige Sprache.«
»Mensch, Illsen, da haben Sie aber wirklich gepennt. Wie gut stünden wir da, wenn wir Arndt zuvorgekommen wären.« Sandts Ärger war noch lange nicht verraucht. »Egal, es ist, wie es ist. Jetzt können wir nur noch Schadenbegrenzung betreiben. Die Richtigstellung wird in den Fünfzehn-Uhr-Nachrichten kommen und der Innensenator dazu interviewt werden.«
Illsen nickte betroffen und wandte sich wieder dem Video zu.
»Sie erhoffen sich einen Hinweis?«, fragte Sandt.
»Ja, bisher hat uns Arndt immer auf die Sprünge geholfen. Geben Sie mir ein paar Minuten.«
Sandt nickte und rief den Innensenator an. Zuerst kam er kaum zu Wort. Seine Entgegnungen und sein Tonfall verrieten, in welch unangenehmer Situation er sich befand. Nachdem er aufgelegt hatte, brummte Sandt: »Der Herr ist ziemlich ungehalten. Eine Erfolgsmeldung würde uns allen guttun. Wie sieht es aus, Herr Illsen, schon was entdeckt?«
Peter Illsen ließ die letzte Szene, die die Staatsanwältin zeigte, laufen und klickte dann auf die Pausetaste. Man sah Renschs verzweifeltes Gesicht, einen Teil einer Stanze und eine verkohlte Wand.
»Es ist so einfach, dass es schon wieder verdächtig ist. Haben Sie den Raum auch schon erkannt, Kai?«
»Ja, sieht aus wie in den Kellerräumen des Kraftwerks Rummelsburg. Da unten hat es ja beim letzten Einsatz gebrannt. Und so eine Maschine habe ich dort auch gesehen. Dieser Verrückte ist anscheinend an seine frühere Wirkungsstätte zurückgekehrt.«
»Wie sicher sind Sie?«, fragte Sandt.
»Sicher genug, um sofort hinzufahren«, entgegnete Illsen und stand auf. »Bitte sorgen Sie dafür, dass das Gebiet abgesperrt wird, Herr Sandt.«
Sandt nickte. » SEK ?«
»Ja. Falls die es aber nicht vor uns schaffen, werden wir nicht warten. Laut Arndt haben wir nicht allzu viel Zeit.«
»Und was ist mit Ihrer Befürchtung? Warum macht es uns Arndt so einfach?«
»Entweder will er, dass wir die Staatsanwältin finden, bevor ihr etwas zustößt, oder er will uns nur ablenken. Vielleicht will er auch beides. Aber was auch immer Arndt bezweckt, wir müssen dieser Spur nachgehen.«
*
Seit Marion Bernau passiert hatte, wurde sie von der Topmeldung des Tages begleitet: die Entführung der Staatsanwältin Hilde Rensch und die Rückkehr des totgeglaubten Wilbur Arndt. Kein Sender, der nicht berichtete, kein Experte und kein Politiker, der nicht eine Meinung dazu hatte. Die Behörden wurden verrissen oder mit Spott überschüttet. Der Innensenator präsentierte die bisherigen Ermittlungsergebnisse in den Nachrichten, ohne dem Geschehen die Dynamik nehmen zu können. Rechtfertigungen wurden ausgesprochen, und die Bürger wurden ermahnt, sich nicht an der Suche nach Hilde Rensch zu beteiligen. Das Gegenteil war der Fall. Das massive Polizeiaufgebot beim Kraftwerk Rummelsburg lockte nun auch diejenigen Abenteurer und Schaulustigen an, die bisher zu Hause geblieben waren.
Schon wieder war Wilbur Arndt einen Schritt voraus. Marion fluchte. Und wieder riss er das Geschehen an sich: Gerade eben hatte Kriminaldirektor Sandt sie angerufen und sie ins Dienstgebäude an der Keithstraße beordert. Im Moment würde jeder Beamte gebraucht.
Das Autobahndreieck Schwanebeck kam näher – hier hätte sie rechts abbiegen sollen. Marion wählte die andere Richtung; sie würde nicht wie die anderen Lemminge Arndts Ruf folgen. Außerdem hatte sie einen guten Grund für ihre Eigenmächtigkeit: Schorten hatte auf ihre Mailbox gesprochen. In etwas wirren Sätzen hatte er von neuen Erkenntnissen im Fall Wilbur Arndt erzählt. Auf ihren Rückruf hatte er nicht geantwortet. Das reichte, um sich Sandts Anordnung zu widersetzen.
*
Hilde Rensch schwitzte. Ihr Schweiß lief in Sturzbächen über Augen und Gesicht, sammelte sich in Armbeugen und Schritt und glitt ihre Oberschenkel entlang.
Hilde Rensch schrie. Sie schrie, bis ihre Stimme versagte, bis sie sich übergeben musste und sich der Inhalt ihres Magens über Kleidung und Tischplatte ergoss.
Hilde Rensch lachte. Sie lachte über Wilbur Arndt, der glaubte, sie bestrafen zu können. Doch Strafe war für sie eine Form des
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