Fingermanns Rache
in Teufels Küche. Nicht nur, dass sie sich mit diesem Journalisten anlegte, nein, jetzt musste sie auch noch Jochen Sandt gegen sich aufbringen. Das war vollkommen unnötig. Die schlaflose Nacht, der enorme Druck, unter dem sie stand, forderten ihren Tribut. Dabei war es gerade jetzt wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren, denn ihre Entscheidung war gefallen. Nichts, was in dem Dossier stand, durfte an die Öffentlichkeit gelangen. Jeder, der davon wusste, musste beseitigt werden. Morgen, bei der von Loki angekündigten Geiselübergabe, musste das Problem aus der Welt geschafft werden. Es war eine günstige, wenn nicht die einzige Gelegenheit. Die Zeit hierzu war knapp bemessen. Ein weiterer Fehler ihrerseits. Sie hatte einen Tag unnütz verstreichen lassen. Aber es war nun mal ein Unterschied, einen Mord im Geiste durchzuführen oder ihn tatsächlich zu veranlassen.
Hilde Rensch atmete tief durch, dann schloss sie ab. Sie musste jetzt ungestört sein. Die Jalousien in ihrem Büro waren heruntergelassen, das Zimmer lag im Halbdunkel. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und kramte das Handy aus der untersten Schublade hervor. Bisher hatte sie es noch nicht benutzt. Die Prepaidkarte zog sie aus ihrem Geldbeutel und legte sie ein. Unter einem Pseudonym war die gesuchte Nummer abgespeichert. Wenn sie das Codewort nicht sagte, würde der Gesprächspartner sofort auflegen und sein Handy vernichten.
Es knackte in der Leitung, dann hörte sie ein regelmäßiges Atmen. Hilde Rensch sagte: »Bernburg«, und wartete.
Augenblicke später die vertraute, sonore Stimme: »Hilde. Lang ist es her.«
»Hallo, Robert.« Es war seltsam, diesen Namen nach so langer Zeit wieder auszusprechen. »Etwas Unvorhergesehenes ist eingetreten. Meine IM -Akte ist wieder aufgetaucht.«
»Das ist unmöglich.«
»Doch, es gibt keinen Zweifel. Mir wurde eine Kopie zugespielt. Es muss einen Verräter unter uns geben.«
»Einen Verräter, sagst du? Kaum vorstellbar.«
»Aber die Tatsachen sprechen für sich. Wir allein hatten Zugriff auf die Unterlagen.«
»Da hast du leider recht. Ich werde die nötigen Schritte einleiten. Deine Vorgesetzten dürfen von deiner Vergangenheit nichts erfahren, sonst ist es vorbei mit dem Staatsdienst. Wir haben so viel in dich investiert, das darf nicht umsonst sein. Kein Jahr mehr, und du stehst ganz oben.«
»So ist es. Aber es geht um vieles mehr. Denn nicht nur meine IM -Tätigkeit wurde aufgedeckt. Auch die unterlassenen Ermittlungen und die gewollten Verzögerungen, die viele Fälle verjähren ließen, werden in einem Dossier aufgelistet. Das reicht, um mich ins Gefängnis zu bringen.«
»Wirst du erpresst?«
»Nein. Bisher ist mir nicht klar, was der Verfasser bezweckt.«
»Seltsam. Wer so viel preisgeben will, kann uns alle gefährden. Jemand aus unseren Reihen würde niemals so weit gehen.«
»Ja. Ich glaube, der Verräter ist nur ein kleines Licht. Hier steckt eine größere Gruppe dahinter.«
»Und was können wir tun? Hast du Anhaltspunkte?«
»Ich habe mehrere Namen. Unter anderem Wilbur Arndt, der seit Sonntag untergetaucht ist und wohl hinter der ganzen Sache steckt. Christian Sonar, ein Journalist, könnte Kontakt zu ihm haben. Dann gibt es noch jemanden, der sich Loki nennt. Das alles hängt mit der Entführungsgeschichte zusammen, von der du sicher schon gehört hast. Hierzu lass ich dir über die bekannten Kanäle einen Bericht zukommen. Morgen wird die Geiselübergabe stattfinden. In unserem Haus laufen schon alle Vorbereitungen. Womöglich kann man da schon den Spuk beenden.«
»Morgen? Da bleibt nicht viel Zeit.«
»Ich weiß. Dennoch sollten wir die Gelegenheit nutzen. Das SEK wird vor Ort sein, und die Situation ist mit Sicherheit sehr angespannt. Da muss es doch möglich sein, diesen Arndt und seine Kollegen zu beseitigen.«
»Stimmt. Eine Geiselübergabe ist immer äußerst heikel. So was kann schnell eskalieren. Wir werden unser Möglichstes tun.«
»Gut. Ich bin dir zu Dank verpflichtet.«
»Dank ist nicht angebracht, das solltest du wissen. Der Einzelne ist unwichtig. Nur die Sache zählt.«
»Ja, Robert.«
»Dann ist ja alles geklärt.«
Hilde Rensch legte das Handy zurück, nachdem sie die Karte entnommen hatte. Die alten Kader hatten also nichts von ihrem Einfluss eingebüßt. Aber wozu nur? Sie hingen noch immer der alten Idee nach, einer Idee, die Rensch nicht interessierte. Ihr war egal, wer regierte, solange sie eine wichtige und gut bezahlte Rolle spielte.
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