Fingermanns Rache
Entführung von Fabian Flaig können wir nicht erkennen. Die damaligen Geschehnisse werden in einer getrennten Ermittlung untersucht.«
Ein recht junger Journalist stellte die nächste Frage. »Die einzelnen Folgen der Entführungsgeschichte wurden von Wilbur Arndt, einem Obdachlosen, verfasst. Dieser Mann wurde von den Entführern ausdrücklich dazu bestimmt und ist seit gestern verschwunden. Was können Sie dazu sagen?«
Der Kriminaldirektor beugte sich vor. »Woher haben Sie diese Informationen?«
»Ich bin nicht verpflichtet, meine Quellen preiszugeben. Aber Ihrer Reaktion zufolge trifft dies zu.«
»Gegen Wilbur Arndt lag nichts vor. Er konnte gehen, wohin er wollte.«
»Aber doch nicht als Verdächtiger in einem Entführungsfall. Sie haben ihn doch sicher beschatten lassen.«
»Es gab Probleme, und wir haben ihn aus den Augen verloren. Doch jetzt ist er zur Fahndung ausgeschrieben. Er wird nicht allzu lange auf freiem Fuß sein.«
»Das heißt, dass ein Haftbefehl gegen ihn existiert?«
»So ist es.«
»Und warum erst jetzt? Wenn man sich die Faktenlage ansieht, kann man ja beinahe von einem fahrlässigen Versäumnis sprechen.«
Statt Jochen Sandt ergriff die Staatsanwältin das Wort. In ihrer Stimme schwang mühsam unterdrückte Wut mit. »Können Sie mir nochmals Ihren Namen und das Blatt, für das Sie arbeiten, nennen?«
»Wenn es der Wahrheitsfindung dient: Christian Sonar vom ABENDBLATT .« Der junge Fragensteller lächelte selbstbewusst. Hilde Rensch lächelte ebenfalls, während sie den Namen notierte. Doch ihr Lächeln hörte bei ihren Augen auf.
»Hören Sie, Herr Sonar. Deutschland ist ein Rechtsstaat, da verhaftet man Menschen nicht willkürlich. Dies gilt leider auch für Journalisten, die wichtige Informationen vorenthalten.«
Im Saal schwoll der Geräuschpegel an. Erbost antwortete der Journalist: »Der Informantenschutz ist ein Fundament des investigativen Journalismus. Sie stellen doch nicht die Pressefreiheit in Frage?«
Noch immer kalt lächelnd, antwortete die Staatsanwältin: »Nein. Ich stelle nur fest, dass Sie über Informationen verfügen, die Sie zum Mitwisser machen, und dennoch werden Sie nicht verhaftet.«
Sonar deutete eine Verbeugung an. »Vielen Dank für die Belehrung, Frau Staatsanwältin. Ihre speziellen Ansichten werden in der heutigen Spätausgabe gewürdigt werden.«
»Schreiben Sie, was Sie wollen, Herr Sonar.«
*
Nach der Pressekonferenz begleitete Jochen Sandt die Staatsanwältin zu ihrem Büro. »Was ist nur in Sie gefahren? Wie können Sie sich mit diesem Journalisten anlegen, und das noch in aller Öffentlichkeit? Gerade Ihnen muss doch an einer guten Presse gelegen sein.«
»In unserem Staat laufen einige Dinge falsch. Es herrscht zu viel Toleranz. Toleranz, die von solchen Subjekten wie diesem Sonar missbraucht wird.«
»Das aus dem Munde einer Staatsanwältin? Sie wissen hoffentlich, für wen Sie arbeiten.«
»Gerade weil ich für den Staat arbeite, denke ich so. Die Gesetze sind zu lax, sie bieten zu viel Freiraum. Was kann ich gegen solche Leute wie Sonar unternehmen, außer zu drohen? Im Grunde genommen nichts. Dabei ist klar, dass er seine Informationen aus dem Dunstkreis der Entführer hat oder dass es bei uns eine undichte Stelle gibt.«
»Auch wenn ich die Medien manchmal verfluche, stehe ich hinter der Pressefreiheit. Sie garantiert eine objektive Berichterstattung, die für eine Demokratie lebenswichtig ist. Dafür muss man die Nachteile dieser Regelung in Kauf nehmen.«
»Schön, dass wenigstens einer so denkt. Ich hingegen halte eine Reform des Medienrechts sowie des Strafrechts für dringend geboten.«
Die Staatsanwältin hatte sich in Rage geredet, wie immer bildeten sich nun Schweißperlen auf ihrer Stirn, ihre feisten Wangen leuchteten rot. Diese ganze Person war Sandt so zuwider, dass er sich zu einer unbedachten Bemerkung hinreißen ließ: »Sie haben schon zu DDR -Zeiten in der Justiz gearbeitet. Hängen Sie noch immer den guten alten Zeiten nach?«
»Sie kennen die Hierarchie, Herr Sandt. Und Sie wissen bestimmt, welchen Einfluss eine zukünftige Oberstaatsanwältin hat.«
»Von Ihnen lasse ich mich nicht einschüchtern.«
Hilde Rensch wandte sich von Sandt ab und öffnete ihr Büro. »Sie werden noch an mich denken, Herr Kriminaldirektor. Und jetzt habe ich zu tun. Schönen Tag noch.«
Energisch drückte die Staatsanwältin die Tür zu und lehnte sich mit ihrer erhitzten Stirn dagegen. Ihre Unbeherrschtheit brachte sie
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