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Fingermanns Rache

Fingermanns Rache

Titel: Fingermanns Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christof Weiglein
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eine verschlossene Tür. Hier hatte sich das Archiv befunden. Mittels ihrer Kreditkarte verschaffte sie sich Eintritt und wurde an diesem Tag zum zweiten Mal überrascht. Dieser Raum hatte sich nicht verändert: fensterlos und mit bis zur Decke reichenden Regalen vollgestellt. Alles war so, wie sie es in Erinnerung hatte. Irritiert ließ sie sich auf einen Stuhl sinken. Was war hier nur los?
    Marion betrachtete ihre klammen Hände, die ihre feuchte Jacke hielten, und ließ etwas Zeit verstreichen. Die Erklärung musste sich in diesem Raum befinden. Die äußeren Umstände, so verwirrend sie auch waren, galt es zu ignorieren. Wenn sie sich auf das Wesentliche, auf die Fakten konzentrierte, würde sie klarer sehen. Bedächtig stand Marion auf und schritt die Regale bis zu Wilbur Arndts Jahrgang ab. Der betreffende Ordner befand sich immer noch an seinem Platz. Die Sterbeurkunde von Johannes Berg sowie Wilbur Arndts Lebenslauf fehlten – die Kriminaltechnik benötigte die Dokumente noch.
    Das hab ich also nicht geträumt, stellte Marion erleichtert fest. Ein weiterer Ordner mit der Aufschrift »Bilder der Jahrgänge 50 – 55« weckte ihre Aufmerksamkeit. Nach kurzer Suche stieß sie auf Fotos, die die einzelnen Jahrgänge zeigten. Das Bild von Wilbur und Johannes, das vor wenigen Tagen noch zu Miriam Eisens Bildergalerie gehört hatte, fehlte, aber zum Glück hatte sie damals eine Kopie gemacht.
    Ein Geräusch ließ sie zusammenzucken. Jemand kam die Treppe herauf. Marion löschte das Licht und zog ihre Waffe. Seitlich neben der Archivtür stehend, versuchte sie ihren Atem zu beruhigen. Angst ist ein mieser Verbündeter, hatte ihr Ausbilder immer gesagt.
    Schwere Schritte ließen die Dielen knarren, dann klopfte es gegen die Eingangstür, die noch immer offen stand.
    »Hallo, ist da wer?«, fragte eine tiefe Männerstimme.
    Einigermaßen erleichtert spähte Marion um die Ecke und trat dann vor. » LKA Berlin. Wer sind Sie?«
    Ein stämmiger, grauhaariger Mann, bekleidet mit einem weißen Kittel, hob die Arme. »Ralf Mertens, Krankenpfleger. Erschießen Sie mich jetzt?«
    »Wenn Sie tun, was ich sage, nicht«, entgegnete Marion trocken. »Können Sie sich ausweisen?«
    »Ja, sicher. Perso und Dienstausweis immer am Mann.«
    »Dann legen Sie Ihre Ausweise auf die Anrichte dort und gehen fünf Schritte zurück.«
    »Wow, ein richtiger Einsatz. Heute ist mein Glückstag. Wissen Sie, ich bin ein ganz großer Krimifan.« Mertens befolgte Marions Anweisungen und musterte sie aus der ihm befohlenen Distanz. »Das machen Sie richtig gut: Mich im Auge behalten und gleichzeitig meine Personalien kontrollieren. Da hätte nicht einmal Hannibal Lecter eine Chance. Hannibal Lecter kennen Sie doch? Der feinsinnige Kannibale aus ›Schweigen der Lämmer‹, der am liebsten die Leber seiner Opfer verspeist, wenn sie noch warm ist.«
    Marion musterte den freundlich lächelnden Krankenpfleger, der noch immer die Arme oben hielt, leicht verunsichert. Ein Krimifan mit einem Faible für Massenmörder hatte ihr gerade noch gefehlt.
    »Danke«, sagte sie und gab Mertens seine Dokumente zurück. »Sie müssen entschuldigen, aber die Situation war nicht ganz eindeutig.«
    »Absolut kein Problem, endlich passiert hier mal was. Sie sind also vom LKA Berlin. Klingt nach ’ner großen Nummer. Ringfahndung, Hubschrauber und SEK . Die ganz schweren Geschütze eben. Was mir jetzt nur noch fehlt, sind Ihr Name und Ihr Dienstgrad. Darf ich die erfahren, oder sind Sie undercover?«
    Marion lächelte. »Sie haben wirklich eine blühende Phantasie. Hier, nehmen Sie meine Visitenkarte.«
    Mertens’ Augen leuchteten. »Die kann ich behalten? Toll.« Laut las er: »›Marion Tesic. Oberkommissarin‹. Lassen Sie mich raten: Ihre Freunde nennen Sie Mary. Stimmt’s?«
    »Ja«, antwortete Marion irritiert.
    »Von Mary ist es nicht weit zu Bloody Mary, dem bekannten Cocktail.« Mertens lachte dröhnend. »Kennen Sie eigentlich die Geschichte von der reichen Witwe, die statt des üblichen Tomatensafts mit Wodka das Blut ihrer frisch verschiedenen Ehemänner getrunken hat, um deren Seele nahe zu sein?«
    »Nein. Ich bin auch nicht interessiert. Mir wäre lieber, wenn Sie mir ein paar Fragen beantworten würden.«
    »Ja, natürlich. Aber Sie wollen doch sicher wissen, warum die Witwe nach dem Tod ihres sechsten Ehemanns ebenfalls verstorben ist?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Sie lügen. Ich seh’s an Ihren Augen. Also, den sechsten Ehemann hat sie die Kellertreppe

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