Finish - Roman
flatterte über das runde Zifferblatt. Der Blickwinkel war nicht optimal, doch Medina schätzte, dass die Zeit auf ein paar Zehntelsekunden genau hinkommen müsste. Boone sah ihm über die Schulter.
»Und, was haben Sie?«
»14,65 Sekunden«, sagte Medina. »Plus/minus ein Zehntel.«
»Nicht übel«, sagte Boone. »Moriarty hat gute Arbeit geleistet.«
»Gut?«, zischte Medina. »Der ist mehr als zehn Zehntelsekunden über der Zeit! Da scheppert’s in der Kasse.«
»Im Klo scheppert’s da«, grinste Boone. »Da muss Billy Joe noch ’ne ganze Menge scheißen, um ’ne ganze Sekunde rauszuholen.«
Obwohl beide dasselbe Ziel verfolgten, schienen Billy Joe Speed und Buck Miller nicht die geringste Notiz voneinander zu nehmen. Tatsächlich hatte niemand die beiden seit jenem ersten Tag im Saloon je ein Wort miteinander wechseln sehen – und hätte man Billy Joe danach gefragt, hätte er sich wohl kaum noch daran erinnert. Sie wohnten in derselben Stadt, atmeten dieselbe Luft, und dennoch trennten sie Welten.
Billy Joes physische Verfassung machte natürlich am meisten von sich reden. Nach nur einer Woche hatte er ganz offenkundig erheblich an Gewicht verloren – mindestens drei Kilo, behaupteten einige, doch Lung Chow schwieg wie ein Grab. Auch war nicht zu übersehen, wie aufrecht er sich plötzlich hielt und wie dynamisch er sich bewegte. Doch auch Moriarty verlor kein Wort über die Kondition seines wertvollen Schützlings, das Astloch in Macys Stall wurde zugestopft und die Chancen auf weitere Neuigkeiten aus dieser Quelle vereitelt.
Die Stadt war zweigeteilt, Vater gegen Sohn, Mann gegen Frau. Keine Frage, der Schnelle Mann hatte ein bisschen Geld nach Canyon City gebracht, aber die Quoten gegen Billy Joe waren einfach zu verlockend – sie schwankten zwischen fünf und acht zu eins, je nach dem, wie wach Billy Joe gerade aus der Wäsche guckte oder wie viel von Ma Mulligans Eintopf Buck verdrückte. Den Leuten entging nicht das winzigste Detail, weder wie lang die beidengeschlafen noch wie viel sie getrunken hatten. Es stand einfach zu viel auf dem Spiel – nicht nur das gewettete Geld, sondern der Stolz der Wetter, die Fitness eines Mannes richtig einschätzen zu können, eine Wissenschaft, die die Methodistenmatronen mindestens ebenso gut zu beherrschen meinten wie der Metzger oder der Kneipenwirt.
Derweil blieben Moriartys dreimal wöchentlich gegebene Theatervorstellungen auf unvermindert hohem Niveau und verrieten nichts von der Anspannung, die eine derart große sportliche Verantwortung zwangsläufig mit sich brachte. Buck sah so durchtrainiert aus wie immer, doch der stille Texaner stand ihm darin nicht nach – er war die fleischgewordene Englische Methode. Ob Billy Joe auch nur einen Meter weit laufen konnte, wusste kein Mensch, aber zumindest sah er inzwischen verdammt danach aus. Die Quoten gegen ihn fielen.
Sie sollten erst wieder steigen, als Moriarty und Billy Joe Speed am 21. Juli zum nächsten Testlauf aufbrachen. Um punkt zehn Uhr dreißig machte sich der Zweispänner gemächlich auf den einstündigen Weg zum Blanco Canyon, und jeder in der Stadt wusste, was die beiden vorhatten. Am allerbesten wussten es Medina, Boone und Halsey, die seit acht Uhr dreißig auf dem Felsen oberhalb des Canyons hockten und nach den beiden Männern Ausschau hielten.
Fast Punkt elf Uhr dreißig tauchten Moriarty und Billy Joe auf. Halsey, der Billy Joe noch nie zuvor entkleidet gesehen hatte, bemerkte, wie drahtig der Texanerjunge war. Moriarty schritt die üblichen 130 Meter ab, Billy Joe machte sich warm, und schon stand Moriarty mit gereckter Pistole am Eingang des Tals, derweil Billy Joe seine Position eingenommen hatte und mit erhobenen Armen auf das Startsignal wartete.
Der Schuss krachte, und Billy Joe raste auf Moriarty zu, viel geschmeidiger und ausgeglichener als bei Boones und Medinas erstem heimlichen Beisein. Er brauchte ganze 30 Meter, um auszulaufen und zu seinem Trainer zurückzutrotten.Auf dem Rückweg durchs Tal blickte Moriarty noch einmal auf die Uhr.
»Was haben Sie?«, fragte Halsey und spähte über Medinas Schulter. Sein Freund zog eine Lupe aus der Tasche und musterte seine Stoppuhr. Er schüttelte den Kopf.
»Du meine Güte!«
»Verdammt noch mal!«, meckerte Halsey mit hochrotem Kopf. »Wie war die Zeit, Mann?«
Grinsend hielt Medina ihm die Uhr hin. »14 glatt.«
»Das hab ich auch«, sagte Boone von hinten und reichte Medina seine Uhr. »14 und eine
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