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Finish - Roman

Finish - Roman

Titel: Finish - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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ihren geschmeidigen Anlauf. Vollendet hob sie zum Sprung an und stieß sich im perfekten Moment ab.
    Auf der Höhe ihres Sprungs waren noch gut sieben Zentimeter zwischen ihrem weißen Bauch und der Latte zu sehen. Keine Frage, dieser Sprung war mit Abstand das Schönste und Beste, was ein Tier je vollbracht hatte. Doch für den Bruchteil einer Sekunde waren ihre Hinterläufe bei der Landung nicht ganz im Fluss. Sie berührten die Latte, die gefährlich zitterte und noch immer bebte, als Salamander aufkam und weitergaloppierte. Whitby wendete sein Pferd und starrte eine gefühlte Ewigkeit auf das Querholz. Ganz langsam fiel es herab, und das Echo des Aufpralls hallte durch die gebannte Stille des Zelts. Whitby blinzelte, und nicht ohne Mitgefühl konnte Moriarty eine Träne in den Augen des Engländers aufblitzen sehen.
    Die Latte wurde wieder bei 1,80 Meter aufgelegt, und während Billy Joe einen prüfenden Blick darauf warf, holte Buck die Matratzen und legte sie sorgfältig übereinander.
    Langsam kehrte Billy Joe zu seinem Start zurück und drehte sich zum Hindernis um. Er tat einen tiefen Atemzug, den selbst Eleanor und Mandy auf der zehn Reihen entfernten Ehrentribüne noch hören konnten. Er kniff mehrmals die Augen zusammen, atmete abermals tief durch und fixierte das Querholz. Dann begann er, vor und zurück zu schwanken und wischte sich mit dem linken Handrücken über den Mund.
    Wieder atmete er heftig durch. Schließlich lief er los, als wäre der Teufel hinter ihm her. Sein Lauf ging fließend in den Absprung über, eine perfekte Einheit aus Geschwindigkeit und Spannkraft, und kaum war er abgesprungen, schoss sein Kopf auch schon weit über das Querholz hinaus. Dann, auf der Höhe seines Sprungs, kam das Klappmesser, und Moriarty konnte sehen, dass zwischen Billy Joes Bauch und der Latte eine große Lücke klaffte. Er schwang seine Beine hinüber und landete behende auf der Mitte der Matratze.
    Das Publikum explodierte, Hüte, Programmhefte und Taschentücher wirbelten durch die Luft, und draußen rang die Menge mit den Aufsehern, um ins Zelt gelassen zu werden. Moriarty war als Erster bei Billy Joe und drückte seinen Schützling an sich, während die Menschen in die Manege strömten.
    Ein paar Monate später kam aus England die Nachricht, ein College-Junge namens Marshal Brooks habe als erster Sportler überhaupt die 1,80-Meter-Marke übersprungen. Die Bürger von San Francisco wussten es besser. An jenem Tag hatte Billy Joe genau dasselbe getan, ganz leicht und locker, und was diese Briten anbelangte – die mochten glauben, was sie wollten.
    Aus Eleanor Camerons Tagebuch, 18. März 1876
    Der Große Hochsprung ist vorbei, und selbst die, die eine Menge Geld dabei verloren haben, scheinen sich nicht als Verlierer zu fühlen. Schon merkwürdig, diese Befreiung, diese Freude, die Männer (und Frauen gleichermaßen) beim Anblick sportlicher Höchstleistungen empfinden. Vielleicht liegt es daran, dass das, was ihnen gestern in Barnums Zirkus geboten wurde, ausnahmsweise alles andere als Scharlatanerie war, weshalb sie der Verlust ihres Geldes nicht wirklich schmerzt. Keiner, der gestern dabei gewesen ist, wird jemals vergessen, wie Billy Joe einem großen weißen Vogel gleich über die Latte geflogen ist. Selbst Captain Whitby hat die ganze Sache gut genommen. Barnum hat ihn aus seinem Vertrag entlassen, und jetzt ist er als Reitlehrer in Leland Stanfords Diensten tätig. Doch San Franciscos Damenwelt sollte sich in Acht nehmen, denn als Reitlehrer soll der Rittmeister noch gefährlicher sein, als er es während des Angriffs der Leichten Brigade unter Lord Cardigan war.

10
DER PFEILLAUF
    Aus Eleanor Camerons Tagebuch, 24. März 1876
    Am Ende des ersten Aktes von »dem Schottenstück« (Moriartys abergläubische Weigerung, den Namen »Macbeth« in den Mund zu nehmen, ist wirklich mehr als kindisch) erfuhren wir, dass Gregor McGregor und einer aus seiner Gruppe, Alistair Blain, von ihrer Schürfexpedition zurück seien. Ich hatte das Geld, das wir McGregor vor über einem Jahr gegeben hatten (hierzulande wird es »grubstake« genannt), von vornherein eher als Spende denn als Investition begriffen, doch dem war nicht so. McGregor ist zwar insgesamt schlanker zurückgekehrt und muss nicht mehr abnehmen, um den Falstaff zu spielen, aber dafür auch sehr viel reicher, wenn auch mit einer furchtbar tragischen Geschichte im Gepäck.
    Als McGregor und seine fünf schottischen Landsleute Ende April 1875 in Dakota

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