Finish - Roman
Weite zu suchen, denn man konnte schließlich nicht wissen, was in den Köpfen der Indianer vorging. Am ersten Tag ritten sie 35 Meilen und rasteten auf einer Lichtung am Ufer eines Baches, die eine gute Sicht nach allen Seiten bot. Billy Joe brutzelte ein paar Sauerteigfladen, Buck brühte Arbuckle’s, und dann saßen sie beim leisen Wiehern der Pferde in der Abenddämmerung am Feuer.
»Ich hab gedacht, du wärst am Ende«, sagte Buck.
»Ich?«, sagte Billy Joe. »Ich hatte noch ’ne Menge Saft in den Beinen.«
»Sah aber nicht so aus«, entgegnete Buck und schlurfte seinen Kaffee. »Du sahst fix und alle aus.«
»War ja auch nicht meine Distanz«, knurrte Billy Joe, ließ ein paar dampfende Sauerteigfladen auf einen Teller gleiten und hielt sie seinem Freund hin.
»Anderthalb Meilen sind auch nicht meine Distanz«, sagte Buck und säbelte sich unbeholfen ein Stück heißes Brot ab.
»Na, toll«, sagte Billy Joe. »Du kriegst die Langstreckenmedaille. Kannst du gleich Moriarty erzählen, wenn wir in Cheyenne sind.«
Schweigend kauten die beiden Männer auf ihrem Sauerteig herum.
»Wie dem auch sei«, sagte Billy Joe schließlich und schluckte den letzten Rest Kaffee hinunter. »Ich hatte die ganze Zeit noch ein Ass im Ärmel.«
Buck stellte seinen Teller beiseite. »Was soll das heißen?«
»Das heißt, hätten diese Wilden uns echt am Arsch gekriegt, hätte ich uns beide mit links rausgehauen.«
Buck stand auf und goss Billy Joe noch eine Tasse Kaffee ein. »Und wie genau hätte das ausgesehen?«
Billy Joe schwieg einen Moment. »Mach die Augen zu«, sagte er dann und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
»Was zum Teufel –«, wollte Buck widersprechen.
»Mach die Augen zu, hab ich gesagt«, wiederholte Billy Joe. Buck gehorchte.
»Nicht aufmachen«, sagte Billy Joe, stellte Tasse und Teller weg, stand auf, zog seine Lederhosen und seine Long Johns herunter und fummelte hinter seinem Rücken herum. Dann zog er beide Hosen wieder hoch und machte den Gürtel zu.
»Jetzt darfst du sie wieder aufmachen«, sagte er und setzte sich.
Als Buck die Augen öffnete, sah er im flackernden Feuerschein, dass Billy Joe etwas in der Hand hielt, das aussah wie ein schmaler Stahlsplitter. Er nahm es in die Hand, drehte es hin und her und musterte es. Der Splitterwar rund fünf Zentimeter lang, einen guten Zentimeter breit und auf der einen Seite rasiermesserscharf.
Er lachte. »Eine Zwergenrasierklinge – na und?«
Billy Joe lachte nicht. Mit feierlichem Gesicht nahm er Buck die Klinge aus der Hand.
»Das ist keine normale Rasierklinge. Das, mein lieber Freund, ist eine Schneide – mit der kann man Seile durchtrennen, Schlösser öffnen …«
»So richtig viele Schlösser habe ich bei den Sioux nicht gesehen …«
»Dir haben sie echt ins Hirn gepinkelt!«, explodierte Billy Joe. »Ich hatte die versteckt, und zwar verdammt gut!«
»Wo denn?«
»Verrätst du’s auch nicht?«
Buck setzte eine übertrieben feierliche Miene auf und spuckte ins Feuer. »Bei meiner toten Großmutter.«
»In meinem Hintern«, raunte Billy Joe und blinzelte verschwörerisch.
Buck zog ungläubig die Nase kraus. »Wie meinst du das?«
»Deutlicher kann ich’s nicht sagen, Buck. In meinem Hintern, After, Arschloch. Selbst Shakespeare könnte es nicht treffender ausdrücken.«
»Du willst mir wirklich weismachen, du bist mit einer Rasierklinge im Arsch herumgelaufen?«
»Genauso sieht’s aus.«
Kopfschüttelnd goss sich Buck noch eine Tasse Kaffee ein. »Und wie lange?«
»Fast drei Jahre. Mein Paps hat mir mal erzählt, der alte Daniel Boone hat eine mit sich rumgeschleppt, seit er zwölf war. Ganz oft ist der den Indianern dadurch abgehauen. Aber eigentlich hat mich erst der Große Marko richtig drauf gebracht.«
»Der Große Marko?«
»Ein Ent … ein Entfesselungskünstler – so ein Zauberer, den ich 72 Mal in San Antonio getroffen hab. Der hat sichin Seile und Ketten und Zwangsjacken eingewickelt und im Sarg verbuddeln lassen und so Zeug. Und zehn Minuten später war der ganz lässig wieder frei.«
»Und wie kommt’s, dass dieser … dieser Marko-Typ dich in die Sache eingeweiht hat?«
Billy Joe griff nach einem Stück Sauerteig, roch daran und warf es ins Feuer. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund.
»Marko war bei mir tief in der Kreide, 200 Steine bei einer Runde Stud-Poker. Er hat mir alles über die Rasierklinge erzählt, und ich hab ihm seine Schulden erlassen.«
»Und du
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