Finn und der Kristall der Zeit (German Edition)
gar kristalllos, und konnte natürlich auch nicht Auto fahren. Anscheinend habe ich es ein wenig verlernt.“ Mit diesen Worten bremste er scharf und winkte höflich eine alte Dame mit einem Gehwagen über die Straße. Die alte Dame brauchte ewig dazu, und die Jungen sahen ungläubig von ihr zu dem Grafen und wieder zurück. Der Graf mochte diese Blicke wohl bemerkt haben, denn er äußerte mit hochgezogenen Augenbrauen: „Es ist nie verkehrt, rücksichtsvoll zu sein, Kinder!“
„Aber ich denke, wir haben es so eilig?“, wandte Finn verwirrt ein.
„Ich bin mir nicht wirklich sicher, ob wir es eilig haben“, sagte der Graf. „Ich meine, anscheinend habt ihr euren Bruder gerettet. Werdet ihn retten. Also, in der Zukunft werdet ihr ihn gerettet haben. Oder vielleicht auch nicht, ich weiß nicht. Möglicherweise verändert sich die Zukunft, wenn ihr das nicht hinbekommt, und dann werde ich etwas ganz anderes lesen. Gelesen haben. Naja, ihr wisst schon. Jedenfalls“, dozierte mit erhobener Stimme weiter, „stand nirgendwo, und ich wiederhole: nir-gend-wo , dass ich eine alte Dame überfahren hätte, nur weil wir es so eilig haben, also tue ich das auch nicht!
Obwohl sie sich tatsächlich mal ein wenig beeilen könnte!“
Die Dame war jetzt auf der anderen Straßenseite angekommen und mühte sich ab, ihren Gehwagen über den Kantstein zu heben.
„Moment mal, Jungs!“, sagte der Graf und sprang aus dem Wagen. Er rannte auf die Dame zu und half ihr mit dem schweren Gehwagen. Die Jungen sahen sich an und schüttelten die Köpfe.
„Das soll der Graf sein?“, fragte Tom verblüfft.
„Ich hatte ihn mir auch anders vorgestellt“, gab Finn zu. „Irgendwie mehr… na, vornehmer oder so.“
„Aber gefährlich kommt er mir eigentlich nicht vor“, stellte Tom fest. „Höchstens ein wenig verrückt.“
„Glaubst Du, er weiß wirklich, wo Jacob ist?“, fragte Finn.
„Ich hoffe es“, antwortete sein Bruder. „Sonst hätte ich nämlich keine Idee, wo wir suchen sollten.“
„Aber sag mal…“ Noch bevor Finn seinen Gedanken aussprechen konnte, kam der Graf zurück zum Auto gerannt. Er sprang ins Auto, knallte die Tür hinter sich zu und fuhr wieder los. Dieses Mal waren die Jungen vorbereitet und hielten sich krampfhaft in den Polstern fest.
„Wo waren wir stehen geblieben?“, fragte der Graf.
„Bei Jacob?“, sagte Finn schüchtern.
„Ach ja, natürlich. Also, es scheint, dass Jacob in der Gewalt unserer Feinde ist. Ich weiß nicht, warum und was sie von ihm wollen, denn ich bin, ehrlich gesagt, nicht ganz auf der Höhe, was die aktuellen Ereignisse angeht. Nachdem der Kristall verschwunden war, war ich ziemlich von der Zukunft abgeschnitten. Bis es mir endlich gelang, wieder zu springen…“
„Zu springen ?“, unterbrach Tom ihn.
„In der Zeit zu springen, Kind.“, erklärte der Graf ungeduldig. „Wo war ich? Ach so, ja, als es mir gelang, in der Zeit zu springen, fand ich keinen meiner Wächter vor, also sprang ich ein Stück weiter, und da entdeckte ich dann eine Nachricht, dass ein Junge namens Jacob entführt worden sei und dass ich nach seinen zwei gleich aussehenden Brüdern suchen und sie zum ehemaligen alten Waisenhaus von Fräulein Winter bringen solle. Nette Dame übrigens, sehr nette Dame.“
Finn schüttelte den Kopf. Woher kannte der Graf die Leiterin seines Waisenhauses? Er hatte das Gefühl, dass sich sein Kopf wie ein Karussell drehte.
Der Graf schien das Gefühl zu haben, nun genug erklärt zu haben, denn er verstummte, während er ein ums andere Mal ein Auto überholte, welches ihm wohl zu langsam fuhr, und dabei vermutlich gegen jede einzelne Verkehrsregel verstieß. Finn begann sich beklommen zu fragen, was wohl passierte, wenn die Polizei den Grafen wegen zu schnellen Fahrens anhielte – sicher gab es auch in dieser Zeit Regeln, an die man sich im Auto zu halten hatte?
Leise beugte er sich zu seinem Bruder. „Was denkst du“, flüsterte er, was wird passieren, wenn man den Grafen verhaftet, weil er wie ein Verrückter fährt? Wie soll er einem Polizisten erklären, dass er aus dem Jahr 1605 stammt?“
„Das hab ich gehört“, schnappte der Graf, noch bevor Tom antworten konnte. Und im Übrigen werde ich nicht erwischt. Ich habe im Jahr 2055 eine wundervolle Liste gefunden mit allen Verkehrsverstößen, die ich begehen werde. Die werde ich mir nämlich da selber hingelegt haben. Wird das nicht ungeheuer pfiffig von mir sein?“ Er runzelte die Stirn.
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