Finn und der Kristall der Zeit (German Edition)
Höflich bedankte sich Tom und trank. Dann war Finn an der Reihe. Auch er bedankte sich, trank die kühle Milch und gab dem Mann die Schöpfkelle zurück. Dann sah er seinen Bruder an und musste lachen. Tom hatte unübersehbar einen Milchbart – so wie er vermutlich auch. Mit dem Ärmel fuhr er sich über das Gesicht – genau als auch Tom diese Idee kam. Nun mussten beide lachen, und auch der Fahrer des Milchwagens lachte gutmütig.
„Er heißt Peter, der Gaul“, erklärte er. „Nach meinem Bruder. Ich habe nämlich auch einen Zwilling. Ich fand es damals witzig, mein Pferd nach meinem Bruder zu benennen, aber inzwischen ist der Pferde-Peter alt und faul geworden und hat mit meinem Bruder nicht mehr allzu viel gemein. Aber als er jung war, da ist er mal mit dem ganzen Milchwagen durchgegangen. War eine ziemliche Arbeit, ihn wieder einzufangen. Ein Glück nur, dass damals nicht mehr passiert ist.“
Er sah die Jungen mit mildem Interesse an.
„Ihr wollt ihm was zu Fressen geben, ja?“, fragte er. Mit seiner leeren Hand griff er an Toms Hals vorbei und holte hinter dessen Ohr eine Mohrrübe hervor. Die Jungen machten große Augen.
„Versucht es mal damit, vielleicht weckt ihn das auf“, schlug er vor.
„Wie…“, stotterte Finn, „…wie haben Sie das gemacht?“
Der Mann lachte.
„Ich habe meine Jugend beim Zirkus verbracht“, erklärte er. „Da habe ich solche Taschenspielertricks gelernt. Natürlich kann man sie beim Milchausfahren nicht sehr oft gebrauchen.“
Während Tom das müde Pferd fütterte, tätschelte der Mann den Hals seines Tieres.
„Na ja, wir werden alle nicht jünger. Diese glorreichen Zeiten sind lange vorbei. Ihr könnt meinen alten Peter gerne streicheln, wann immer ihr ihn seht. Ich hab nichts dagegen, und ich denke, er freut sich.“
Ein wenig zweifelnd sah er sein Pferd an, das mit seiner Möhre fertig war und gerade wieder einzuschlafen schien. „Zumindest“, setzte er grinsend hinzu, „wird es ihn auf keinen Fall stören.“
Die Jungen mussten lachen. Der Milchmann war wirklich sehr nett.
„Vielen Dank“, sagte Tom. „Wir müssen weiter, aber bestimmt sehen wir uns noch mal!“
„Der war aber freundlich!“, murmelte Finn seinem Bruder zu, als sie die Straße hinunter gingen.
„Leider sind nicht alle so“, sagte Tom. „Für viele Leute sind wir nur lästige Bettler, und wenn sie uns sehen, verjagen sie uns. Aber manchmal hat man eben auch Glück.“
Er bog in eine kleine Seitenstraße ein.
„Jetzt heißt es aufpassen!“, sagte er. „Wir müssen durch den Hinterhof zum Hintereingang der Bäckerei. Das alte Brot für die Schweine wird in einer Kiste draußen aufbewahrt. Einmal in der Woche kommt ein Bauer und holt die Sachen ab. Das ist bei diesem Bäcker meistens am Freitag. Heute ist Mittwoch, also müsste die Kiste gut voll sein.
Übrigens ist dieser Bäcker hier richtig reich. Er hat sogar ein Auto, und ich habe gehört, er hat auch ein Dienstmädchen. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen wegen der Klauerei. Es trifft keinen Armen. Aber es ist natürlich trotzdem besser, wenn uns niemand sieht.“
Er holte einen alten Stoffbeutel aus seiner Jackentasche hervor. „Hier packen wir das Brot hinein. So, jetzt komm schnell.“
Er sah sich schnell um, um sich zu vergewissern, dass außer ihnen niemand auf der Straße war, und zog Finn dann schnell zu einer kleinen Pforte in einer Steinmauer. Sie war unverschlossen. Flink hakte er den Riegel auf und öffnete die Pforte, steckte den Kopf in den Hinterhof und flüsterte: „Alles klar, wir können rein!“
So schnell sie konnten, schlichen sie an der Wand entlang zu einer weißen Holzkiste, die neben dem Eingang stand. Tom hob den Deckel. Die Scharniere knarrten ein wenig. Erschrocken sah Finn hinauf zu den beiden Fenstern, die auf den Innenhof gingen, aber da war niemand zu sehen. Eilig öffnete er die Stofftasche, und Tom schaufelte von dem alten Brot hinein, soviel er konnte.
„So viele Brötchen“, freute er sich, „und noch gar nicht so hart. Heute haben wir wirklich Glück!“
So leise wie möglich schlossen sie die Kiste wieder und liefen zurück zur Mauer. Als sie die Pforte hinter sich schlossen, bewegte sich eine der Gardinen hinter den Fensterscheiben zum Innenhof und jemand sah hinter ihnen her. Aber das bemerkten die Jungen schon nicht mehr.
Lucy hatte nicht viel Positives zu berichten. Sie hatte sich mit Hilfe ihrer kleinen Geschwister ins Haus geschlichen, als die
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