Finn und der Kristall der Zeit (German Edition)
diesen Worten eilte sie in die ihr zugeteilte Straße.
„Bis nachher und viel Glück“, lächelte Tom, klopfte Finn auf die Schulter und verschwand in der nächsten Straße.
Finn seufzte und ging langsam seine eigene Straße entlang, wobei er darauf achtete, nicht durch den Schein der wenigen Straßenlaternen zu laufen.
Das erste Wirtshaus war nicht weit entfernt. Es hieß „Der Kluge Storch“, und Finn hätte den Namen beinahe lustig gefunden, wenn es ihm nicht so davor gegraut hätte, die Schankstube zu betreten. Zaghaft öffnete er die Tür und starrte durch den Spalt hinein. Im ersten Moment konnte er vor Rauch kaum etwas erkennen; da schienen die Wirtshäuser alle gleich zu sein. Ungefähr zehn Männer mochten in den grauen Schwaden sitzen, jeder mit einem Bier oder einem anderen Glas vor sich. Obwohl einige von ihnen sich unterhielten, hatte Finn doch das Gefühl, jeder von ihnen sei ziemlich allein.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Erschrocken blinzelte Finn die Gestalt an, die vorwurfsvoll auf ihn hinunter sah.
„Und, was willst du hier, du kleiner Hosenscheißer?“, schimpfte sie, und da erst merkte Finn, dass es sich um eine Frau handelte.
„Ich… ich suche jemanden“, sagte er leise.
„Ja, dass du hier nichts trinken willst, habe ich mir schon fast gedacht“, antwortete sie verächtlich, zog ihn in den Raum und knallte die Tür hinter ihm zu. Dann schubste sie ihn in Richtung der Gäste.
„Und, ist der ‚Jemand‘ hier?“
Finns Augen brannten, sowohl vom Tabakrauch als auch von der unwürdigen Behandlung. Am schlimmsten war aber, dass alle Gespräche aufgehört hatten und jeder der Männer ihn anstarrte. Am liebsten hätte er geheult, aber das ging wohl nicht. Er versuchte, durch den Qualm die Männer genauer zu erkennen.
„Na, wenn das nicht mein kleiner Finn ist!“, sagte plötzlich eine fröhliche Stimme. Ein großer Mann, der an einem der Tische gesessen hatte, stand auf und kam zu ihm herüber. Er kam Finn nicht besonders betrunken vor; er hatte immer gedacht, Betrunkene würden torkeln und nicht mehr deutlich sprechen können, aber dieser Mann lief ganz gerade und lallte auch nicht. Und die Beschreibung, die Lucy ihm gegeben hatte, passte auch. Groß war der Mann, größer als alle anderen im Raum, mit einem dicken Bauch und einem roten Lockenschopf, der ein wenig zu lang war und Finn sehr an Lucy erinnerte. Trotzdem war Finn überrascht. Woher mochte der Mann seinen Namen kennen? Dann aber fiel ihm ein, dass sein Bruder sich den Namen ‚Tom‘ erst später gegeben hatte. In den ersten Jahren seines Lebens hatte auch er ‚Finn’ geheißen.
Finns Vorbehalte schwanden langsam. Der Mann legte seine riesige Pranke auf Finns Schulter und bugsierte ihn zu dem Tisch, an dem er gerade gesessen hatte. Dort drückte er ihn auf einen Stuhl und schob ihm das Glas hinüber, aus dem er gerade getrunken hatte.
„Hier, trink einen Schluck“, sagte er. „Und dann erzähl mir, was du von mir willst. Die Mutter hat dich doch bestimmt nicht geschickt, oder? Bist ja auch lange genug ohne sie ausgekommen.“
Er lachte dröhnend.
Finn wollte ihm gerade erklären, dass er nicht der richtige Finn sei, als der Mann schon weiter redete.
„Hab mich immer gefragt, was wohl aus dir geworden ist. Siehst schick aus. Kann mir gar nicht vorstellen, dass sie einem im Kinderheim so tolle Schuhe geben!“
„Das waren nicht die im Kinderheim“, warf Finn schnell ein.
„Hast wohl andere Eltern gefunden?“, fragte Lucys Vater. „Hab immer zu Elsbeth gesagt, bringt nichts, den Jungen zu behalten. Gibt nur Ärger. Hast wohl deine richtigen Eltern gefunden? Müssen ziemlich reiche Leute gewesen sein, hm?“
Nachdenklich starrte er Finn an. Die Augen unter den buschigen roten Augenbrauen glichen Lucys Augen sehr.
„Nein, leider habe ich die nicht gefunden“, antwortete Finn. Seine Gedanken überschlugen sich. Sollte er seinen Bruder und Lucy suchen oder lieber selber versuchen herauszufinden, was der Mann zu erzählen hatte? Lucys Vater schien recht redselig zu sein, und außerdem hielt er ihn für Tom, den er scheinbar mochte. Probieren konnte er es zumindest.
„Wieso glaubst du, dass meine Eltern reich waren?“, hörte er sich selber fragen, und es kam ihm komisch vor, diesen fremden Mann zu duzen. Aber wenn er einmal so etwas Ähnliches wie sein Vater gewesen war, dann musste das wohl sein.
„War klar“, antwortete Konrad Weber bestimmt und nahm einen tiefen Zug aus seinem
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