Finn und der Kristall der Zeit (German Edition)
bringt sie dann hinterher zurück. Aber wir sind nicht sicher.“
Eine Weile schwiegen die Jungen. Finn dachte darüber nach, wie ihrer aller Leben wohl aussehen müsste, wenn es sich jeder von ihnen aussuchen würde. Mit Eltern, klar, Eltern, die einen liebten. Rudolf würde bestimmt viel lernen und ein sehr kluger Mann werden. Ein Professor vielleicht, oder zumindest ein Lehrer, der den Kindern alles beibrachte, was er wusste. Und Mark? Ach, der Kleine war so süß, der musste doch ohne Probleme ein nettes Elternpaar finden. Sicher würde kaum jemand dem Blick dieser großen Augen widerstehen können. Finn musste heimlich grinsen – das war ja nicht einmal seinem Bruder gelungen. Finn konnte sich vorstellen, wie Tom heimlich geflucht haben musste, als er sich plötzlich um den kleinen Jungen hatte kümmern müssen.
Justus? Der erinnerte sich bestimmt noch an seine eigenen Eltern. Warum nur konnte man sie ihm nicht zurückgeben?
Lucy freilich hatte ihre Eltern noch, und der Vater schien ja auch recht nett zu sein. Wenn er nun aufhörte zu trinken; ob dann die Mutter wohl wieder netter würde?
Und was war mit ihm selber, und mit Tom? Von Tom wollte er sich nie wieder trennen. Früher einmal hatte er geglaubt, solche Eltern wie Heinz und Lydia Schmidt seien das Allertollste auf der Welt. Reich, gut aussehend und nett – nur, dass sie dann eben doch nicht so nett gewesen waren. Belogen und betrogen hatten sie ihn. Vielleicht war das Leben bei Fräulein Winter im Kinderheim doch schön gewesen? Schöner jedenfalls, als er damals hatte ahnen können? Ob Tom wohl auch gerne in einem Kinderheim wie dem von Fräulein Winter wohnen würde? Und wenn sie doch morgen ohnehin in Burgfeld sein würden, könnten sie nicht doch noch kurz dort vorbei sehen?
Obwohl – nein, das ging nicht, musste er sich eingestehen. Auch Fräulein Winter musste Regeln einhalten, und die Regeln besagten ganz klar, dass Kinder – gerade Kinder, die sie in ihrem Kinderheim großgezogen hatte, und an denen ihr Herz hing, wie Finn genau wusste – dass diese Kinder ein Dach über dem Kopf haben mussten und einen Erwachsenen, der auf sie achtete. Keinesfalls würden diese Kinder alleine für ihr tägliches Brot sorgen müssen und auf der Suche nach ihrer Herkunft Abenteuer erleben.
Und wie ein Abenteuer kam es Finn vor, was gerade passierte. Alleine seinen Zwillingsbruder zu finden, neue Freunde, und dann – vielleicht nur – das Geheimnis ihrer Herkunft?
„Erzähl mir von Fräulein Winter“, sagte Tom leise neben ihm, und da merkte Finn, dass die Gedanken seines Bruders in ganz ähnliche Richtung gewandert sein mussten, wie seine eigenen. Und so erzählte er vom Kinderheim, von Rosie, von der Schule… von den kleinen Ausflügen, welche die Kinder mit Fräulein Winter und der dicken Kaja gemacht hatten, bei denen es zwar nur dasselbe Essen gab, wie sonst auch, dieses aber auf einer Decke und in der Natur, so dass sie es „Picknick“ nannten und sich vorkamen wie die Könige. Und wie für jedes Kind zu Weihnachten unter dem Weihnachtsbaum ein Geschenk lag, eine Kleinigkeit nur, und wie er als kleiner Junge nie hatte verstehen können, dass der Weihnachtsmann dem Sohn des Kaufmannes immer solch teuren Geschenke gab, und wie eifersüchtig er gewesen war – und wie er jetzt wusste, welche Mühe das gute Fräulein Winter hatte, damit jedes der Kinder wenigstens ein Geschenk, ein kleines nur, bekam…
Und während er erzählte, wurde die Sehnsucht immer größer; ein Gefühl, das er noch nie gehabt hatte, und er wusste, dass es Heimweh war. Und er wusste auch, mehr als zuvor, dass jetzt nicht der Zeitpunkt war, nach Hause zu gehen. Er und Tom würden herausfinden, was es mit den Schmidts und dem geheimnisvollen Stein auf sich hatte, weil das vielleicht die einzige Chance war, die sie hatten, Hinweise auf ihre unbekannten Eltern zu finden.
Als Finn schwieg, griff Tom leise nach seiner Hand.
„Danach aber?“, fragte er ruhig. „Wenn alles vorbei ist, dann nimmst du mich mit, und ich lerne dein Fräulein Winter kennen, und auch Peter und Klaus und Karl und Hans?“
Und Finn wusste, dass sein Bruder wieder einmal dasselbe gedacht hatte. Und das machte ihn sehr glücklich.
Am nächsten Morgen wurde Finn noch vor Tagesanbruch geweckt. Lucy zupfte erst ihn am Jackenärmel und dann seinen Bruder. Beide richteten sich verschlafen auf, wickelten sich dann aus ihren Decken und liefen fröstelnd zur Toilette. Das Waschen erledigten sie mit
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