Finne dich selbst!
fischt?«
»Du meinst das Eislochangeln? Man bohrt mit dem Handbohrer ein Loch in das Eis und lässt dort die Angelschnur hinein.«
Sie lacht schelmisch. »Ja. Aber was ist mit dem Köder?«
Ich zucke mit den Schultern.
»Es ist kalt. Eisig. Alles friert! 20 Grad, 28 Grad unter null.«
»Ich weiß nicht«, sage ich.
Triumphierend erklärt sie: »Man nimmt zum Eisangeln den Wurm im Mund mit. Man trägt ihn unter der Zunge!«
»Was?«
»Bah!«, entfährt es Ilse.
»Aber nur die Härtesten der Harten haben das gemacht. Und man nimmt nur einen Wurm mit.«
»Reicht der denn zum Angeln?«, frage ich.
»Man drückt dem ersten Fisch, den man fängt, die Augen aus und nimmt dann diese Augen als Köder!«
Ich schaue etwas skeptisch auf meinen Fisch auf meinem Teller. Wir essen
nahkiainen
, Flussneunauge. Lampetra fluviatilis, wie Telle erzählt. »Geräuchert und in Essig eingelegt! Kaufst du am besten in der Markthalle in Tampere beim Fischhändler Nygren! Bei Wigren holen wir das Fleisch.«
Ich gucke den beiden Finninnen zu, trenne wie sie den Fischkopf vom Körper und stecke den Fisch mitsamt Gräten in den Mund. Ich kaue. Und entspanne mich.
»Ist total lecker!« Ich bin begeistert.
»Kann ich mir nicht vorstellen«, sagt Ilse.
Hermann isst still und vergnügt weiter. Dann bieten uns die Damen einen »Selbstgebrannten« an. »Original aus Lappland. Von der Familie!«, sagt Marja.
Telle erzählt weiter: »In Finnland macht man üblicherweise Schnaps aus Kartoffeln und Getreide. Das ist ganz normal hier.«
»Wie bei uns in Deutschland«, erzählt Ilse. »Vor allem früher haben wir aus allem Möglichen und Unmöglichen Schnaps gemacht. Damals, als Opa aus dem Krieg zurückgekommen war, hat er immer zusammen mit seinem Nachbarn Vieze Schnaps gebrannt.«
»Opa hat schwarzgebrannt?«, frage ich so ungläubig wie abenteuerhungrig über diese ungeahnte Familienepisode.
»Das war ganz normal«, sagt jetzt auch Ilse.
Telle lacht: »Sag ich doch.«
»Und wie hat Opa das gemacht?«
»Mit einer selbstgebastelten Apparatur, wo von einer Milchkanne das Zeug irgendwie in eine andere lief. Ich weiß auch nicht, wie das funktionierte. Aber die hatten beide keine Angst, die spuckten nicht ins Glas. Gerade der Vieze, dem war nicht bange vor dem ersten Schluck.«
»Nee, kann man nicht sagen«, bestätigt Hermann.
»Wir hatten im Hof damals drei Pflaumenbäume. Und jeden Tag ließen wir die Schweine raus. Die schubberten sich an den Stämmen, und immer fielen dabei Pflaumen herunter. Abends wurden die Schweine wieder in den Stall gescheucht. Und ich musste dann raus, die Pflaumen einsammeln. Die kamen auch mit in den Brand. Oder unsere Birnen. Ja, das kam alles mit rein.«
Telle setzt sofort einen drauf. »Es hieß, sie hätten, wenn nichts anderes da war, manchmal sogar die Gülle gebrannt. Ich weiß nicht, ob das überhaupt geht, ob Gülle sich überhaupt destillieren lässt. Aber angeblich hat dieser Schnaps hervorragend geschmeckt. Nur wenn mal so ein Tropfen danebenging …«, sie macht eine bedeutungsvolle Pause, »dann hat man nach Scheiße gerochen!« Wir brechen in schallendes Gelächter aus.
»Telle, kann es sein, dass finnische Geschichtenerzählerinnen manchmal auch so was wie Seemannsgarn spinnen?«
Sie tut so, als ob sie mich nicht versteht, und legt nach: »Wusstest du eigentlich, dass Kaffee aus Finnland stammt?«
Ich schüttele den Kopf.
»Nur aus klimatischen Gründen müssen wir ihn woanders anbauen!«
Gekonnt die Pointe gesetzt! Was für ein wunderbares Abendessen. So schöne Geschichten. Und der Finne ist angeblich verschlossen? Nein, der Finne ist ganz anders!
Ich nehme vom kaltgeräucherten Rentierschinken. Inzwischen hat Marja ganz nebenbei noch eine Riesenschale Erdbeeren auf den Tisch gestellt. Man muss Telle nur leicht anstoßen, und sie sprudelt wie eine frische Bergquelle. Wie war das damals, das Aufwachsen hinter dem Rücken Gottes? Und sie erzählt: Es gab viel Arbeit, und der Vater erwartete einfach, dass man mithalf. Zum Beispiel von Mitte Juli bis Mitte August in der Moltebeeren-Saison. Das war über Jahrzehnte und ist für viele bis heute eine gute Geldquelle. »Das Beerensammeln wird gut bezahlt.« Moltebeeren sind das Gold des Nordens. Sie sind selten und teuer. Die Familien verraten die Fundstellen nie. Im späten Frühjahr geht man schon in den Wald, in die Tundra, und sucht die Stellen, wo Moltebeeren blühen. Manche brechen extra morgens um vier oder fünf Uhr auf
Weitere Kostenlose Bücher