Finne dich selbst!
wieder? Da warst du doch grade.«
»Aber hier haben die Mützen auf.«
»Mützen?«
»Wollmützen«, erklärt Susanne.
»Mach doch, was du willst. Wir haben nichts vor. Ist ja Urlaub. Wir sitzen hier schön am Wasser.«
»Dann kommt doch mit«, schlägt Susanne vor.
»In die Sauna?« Hermann stöhnt auf. »Das ist nichts für uns.«
»Aber da ist auch ein Strand. Ganz schattig, mit Bäumen«, wirbt Susanne.
So kommen wir alle zum
rauhaniemen kansankylpylä
, wörtlich übersetzt: dem Badeplatz des Volkes, der Volksbadeanstalt von Rauhaniemi. Wundervoll gelegen, in einer baumumstandenen Bucht, mit Sandstrand rechts und flachen Felsen links der Sauna. Meine Eltern legen sich mit Decke und Sudoku ans Wasser.
»Nicht so nah«, sagt Hermann.
»Du hättest man in der Wüste groß werden sollen. Da hättest du dich wohl gefühlt«, sagt Ilse. »Immer diese Angst vorm Nasswerden!«
Susanne und ich verabschieden uns. Die Sauna liegt auf einem kleinen Felsvorsprung. Daneben reckt sich stolz ein Zwei-Meter-Sprungturm über den Näsijärvi. Ein Baudenkmal, wohl geschaffen in den frühen Sechzigern des vorigen Jahrhunderts, massiv und doch in finnisch schlankem Design, aus
betoni
, Beton. Der Turm ragt in den See, wie sich andernorts der Herkules über Kassel erhebt oder das Hermannsdenkmal über den Teutoburger Wald, und wartet in den Sommermonaten auf die zumeist jugendlichen Springer.
»Los, umziehen!«, reißt mich Susanne aus meinen Gedanken.
Sprungtürme faszinieren mich seit meinen Kindertagen, und gleichzeitig machen sie mir Angst. Das Mannbarkeitsritual damals, vom »Dreier« zu springen, war für mich wie ein Lauf auf glühenden Kohlen. Einmal in meinem Leben war ich auf den »Fünfer« im Mindener Melittabad gestiegen, ohne zu bedenken, wie gut man dort oben zu sehen ist. Vor allem, wenn man dann letztlich doch nicht springt!
»Los, Sauna«, bringt mich Susanne zurück, und ich bin plötzlich froh, nur meinen Körper zeigen und nicht springen zu müssen.
Nachdem man sich umgezogen hat, können die Damen ihre Wertsachen in Schließfächern unterbringen, Männer geben ihre Uhren und Brieftaschen an der Kasse ab. Die junge Dame dort, Sari, gibt einem eine Pappschachtel, da kommt alles rein, und dann sagt sie: »Nummer merken!«
»Du sprichst Deutsch?«
»Ja. Ein bisschen. Hab ich in der Schule gelernt.«
»Das ist aber mehr als ein bisschen. Das ist jetzt schon weit mehr, als ich Finnisch spreche.«
»Dann musst du dir jetzt Schachtel drei merken,
kolme
.
Kolme
heißt drei. Okay?
Sie lächelt und schaut dabei erwartungsvoll.
»
Kolme
«, wiederhole ich.
»Sehr gut!«, lacht sie.
Susanne zeigt mir die Holzbretter, auf die man sich hier statt eines Handtuchs in der Sauna setzt. Nach dem Durchgang spült man sie ab und hängt sie wieder auf für den Nächsten. Drei Sitzreihen, rechts und links emporsteigend, in der Mitte der gewaltige Saunaofen. Die Finnen haben Ferien, und die Sauna ist gut gefüllt, aber nicht überlaufen. Einige kommen täglich nach Feierabend. Männer, Frauen und Kinder. Finnen von vier bis 84 . Unglaublich. Susanne geht auf die zweite Stufe. Ich gehe mit, denn ich fühle mich alleine. Aber ich bleibe nicht lange. Draußen ist der heißeste finnische Sommer seit Jahrzehnten. Mir ist sowieso schon warm. Sehr warm. Schon vor der Sauna war mir warm. Und dann das hier. Ich steige ab. Auch in den Augen der anderen wahrscheinlich. Die unterste Reihe. Niemand sitzt so tief wie ich. Selbst die Vierjährigen sitzen höher. Gott sei Dank kennt mich hier keiner, denke ich. Wasser strömt an mir herunter. Die Niagarafälle sind nichts dagegen.
»Und?«, fragt Susanne.
»Muss!«, zucke ich mit den Schultern.
»Deutsch?«, fragt der Herr von gegenüber.
Ich nicke. Sprechen kann ich nicht, dafür würde ich atmen müssen. Aber es ist zu heiß, um zu atmen.
»Sie kommen öfter, nicht wahr?«
Zu viel der Ehre. »Sie kommt öfter.« Ich zeige auf Susanne.
»Ja, ich habe Sie schon gesehen«, sagt er und ein munteres Gespräch entspinnt sich, in das noch zwei weitere Männer und eine Finnin auf Deutsch einsteigen. Der dem Ofen am nächsten sitzt, macht die Aufgüsse, jeweils nach Bitten irgendeines der Saunierenden. Und sie bitten häufig. »Bisschen kalt hier drin. Kannst du mal heizen?«, fragen sie dann.
Susanne amüsiert sich prächtig. Ich hauche Sätze in den Saunanebel, wenn ich gefragt werde. Meine Worte verdampfen. Ich glänze nur mit Schweiß. Dann gehe ich raus, und meine
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