Finne dich selbst!
eine CD von ihm. Mit seinem verrückten Wittgenstein-Lied. ›Worüber man nicht sprechen kann, darüber soll man schweigen!‹«
»Kennst du auch ›Ich mit meiner Braut im Parlamentspark‹?«
Ich schüttele den Kopf.
Telle lacht fast Tränen: »Das Lied wurde verboten.«
»Warum das denn?«
»Es hieß, das Lied verführe zum Alkoholtrinken in der Öffentlichkeit und sei eine Verleumdung des finnischen Parlaments. Numminen hat auch gesagt: Der finnische Tango ist eine Mischung von deutschen Märschen und russischer Romanze, und es ist ein Geh-Tango, extra gemacht für die finnischen Männer, die nicht so feurig tanzen können wie argentinische Männer. Sie gehen den Tango in eine Richtung, bis ein Hindernis kommt. Dann drehen sie sich um und schieben in die andere Richtung.«
»Hermann und Ilse tanzen auch Tango. Sehr gut sogar.«
»Wir sind hier im Land des Tango. Dann müsst ihr zum Tanzen gehen. Die Finnen tanzen so gerne.«
»Telle, ich fürchte, mein Bruder hat da sogar schon was geplant!«
Nie allein ins Wasserloch!
Wir übernachten in Tampere und hängen noch einen Kulturtrip durch die Stadt an. Das heißt, ich mache einen Kulturtrip. Meinen Eltern ist das so nicht zuzumuten. Also vertreiben sie sich den Tag am Wasser, und ich laufe allein zum
mumin
-Museum, ins Kunstmuseum Tampere und das Museumszentrum Vapriikkii. Im Kunstmuseum lerne ich Susanne kennen. Als wir das dritte Mal nebeneinander vor denselben Exponaten stehen, sagt sie plötzlich: »Wir haben uns gestern Abend schon einmal gesehen.« Auch ich erinnere mich. An der alten Papierfabrik waren wir uns begegnet. Ich hatte mit meinen Eltern nach dem üppigen Abendessen noch einen nächtlichen Spaziergang gemacht, und sie kam uns entgegen. Schöne Frau, hatte ich gedacht. Und: Kann man ja nicht einfach so ansprechen. Jedenfalls nicht, wenn man mit Eltern unterwegs ist. Nun trafen wir uns wieder.
Susanne stammt aus München, fährt regelmäßig nach Finnland und ist besonders an finnischer Gegenwartskunst interessiert. Ich plötzlich auch. Außerdem mag ich junge Frauen mit grauen Haaren. Die nächsten Museen besuchen wir gemeinsam. Bald ist es früher Nachmittag, und sie will in die Sauna. Wie an jedem ihrer bisherigen Tampere-Nachmittage. Wir kennen uns erst wenige Stunden, und trotzdem fragt Susanne mich, ob ich mitkäme. Bitte? Ich bin perplex. Sie fühle sich bereits als Stammgast und wolle auf ihr tägliches Schwitzen nicht verzichten. Manche Finnen dort würden bereits mit ihr reden, sagt sie, vier hätten sie gestern sogar gegrüßt. Die ganze Anlage sei zauberhaft gelegen und rundherum ein Erlebnis. Ob ich hier schon mal in der Sauna gewesen sei?
»Klar, am
mökki
!«
Das hier sei etwas ganz anderes. Wenn ich etwas über die Finnen erfahren und in Tampere etwas Typisches erleben wolle, sei das unbedingte Pflicht. Ob ich schon mal Menschen in der Sauna mit Mütze gesehen hätte?
»Mit Mütze?«
»Mit Mütze!«
»Aber meine Eltern …«
»Wir könnten ihnen Bescheid sagen.«
»Ich finde, es ist zu früh, dass du meine Eltern kennenlernst. Nicht mal Isabel kennt die.«
»Isabel?«
»Äh. Das dauert jetzt zu lange.«
»Also, was ist nun mit der Sauna?«
Ich denke nach. Ich suche eine Antwort. Und vorher eine Entscheidung. Ich bin ein Kind der wilden späten Siebziger. Ich bin groß geworden mit Pille, Spirale und all den Unbeschwertheiten langer Jahre ohne Aids-Gefahr. Trotzdem ist mir ein Saunabesuch, nach so kurzer Zeit des gegenseitigen Kennenlernens, ein wenig, sagen wir, zu forsch. Zu früh. Irgendwie zu intim. Zu persönlich geradezu. Auch figürlich bin ich seit einiger Zeit nicht ganz zufrieden mit mir. Bizeps und Bauchumfang stehen in einem ungünstigen Verhältnis. Es gibt Zeiten, denke ich, da sollte man sich eine erste Nacktheit füreinander noch aufsparen.
»Du brauchst allerdings eine Badehose. Es ist eine öffentliche Sauna. Gemischt«, unterbricht sie meinen inneren Dialog.
»Badehose hab ich im Auto«, sage ich. Manchmal rede ich schneller, als ich denke. Aber so bin ich schließlich überhaupt erst mit meinen Eltern nach Finnland gekommen.
»Super, dann los!«
»Wie? Sofort?«
»Ich hab alles dabei«, grinst sie mich an. Junge Frauen in Grau sehen toll aus!
»Erst müssen wir noch zu meinen Eltern.«
»Also doch?«
Minuten später schütteln sich Susanne, Hermann und Ilse die Hände. Hermann flüstert mir zu: »Dich kann man nicht alleine losgehen lassen.«
Ilse ist entsetzt: »In die Sauna? Schon
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