Finne dich selbst!
die finnische Grammatik zu schwer war, wollten sie stattdessen immer mit mir finnische Lieder singen. Didaktisch ist ja auch das ein guter Weg zum Spracherwerb. Darum habe ich mich manchmal erweichen lasen. In einem Kurs haben meine Schüler 14 Lieder gelernt.« Wieder lacht sie aus vollem Hals.
Ich sage, dass wir Deutschen immer zu Finnland aufschauen würden, wegen der guten Ergebnisse im PISA -Test, wegen des guten Bildungssystems.
»Dazu erzähle ich euch mal einen Witz«, erwidert Telle: »Die Ungarn und die Finnen kamen vom Ural an die Ostsee. Dort standen zwei Schilder. Eines zeigte nach Süden, darauf stand: ›Fruchtbares Land, viel Sonne, warm.‹ Das andere zeigte nach Norden, es hatte die Aufschrift: ›Karges Land, ein halbes Jahr lang ist’s dunkel, ein halbes Jahr hell. Mücken. Kalt.‹ Alle, die lesen konnten, sind nach Süden gezogen. Und deshalb schneiden die Finnen bei den PISA -Studien jetzt immer so gut ab. Sie sagen sich: ›Das passiert uns nicht noch einmal!‹«
Plötzlich sieht Marja auf die Uhr. »Telle, wir müssen los.« Zu uns gewandt sagt sie: »Telle reist morgen ab. Wir wollen noch mal zu Marimekko.« Marimekko ist
die
legendäre finnische Design- und Damenmode-Marke.
»Ja, ich möchte noch mal kurz shoppen gehen«, sagt Telle.
»Ich gebe heute ein kleines Abschiedsessen. Bernd, Hermann, Ilse. Habt ihr nicht Lust, dazuzukommen? Ich lade euch herzlich ein.«
Wir sind überrascht. Ilse und ich sehen uns an. »Immerhin brauchen wir keine Bettwäsche«, raune ich ihr zu, »wir haben ja unsere Zimmer.«
Um die Scheu und Zurückhaltung meiner Eltern wissend, sehe ich Telle fragend an: »Du lebst in Deutschland. Können wir das annehmen?«
Energisch sagt Marja: »Natürlich! Wir Finnen sagen nur, was wir meinen. Wir gehen Auseinandersetzungen zwar aus dem Weg, aber wir sind nicht unnötig diplomatisch.«
»Okay, wann?«
»Um sieben?«
»Um sieben!«
Ilse sorgt sich: »Das kann man doch eigentlich nicht machen. Einfach so zu fremden Leuten.«
»Ich finde das spannend«, sage ich. »Und sehr nett! Und wir sind nur einmal im Leben hier. Und wenn uns da jemand in sein Haus bittet, ist das doch großartig.«
»Aber wir lassen dann vielleicht den zweiten Sohn auch noch in Finnland«, gibt Hermann verschmitzt zu bedenken.
Als ob sie es gehört hätte, meldet sich mein Handy mit einer SMS von Isabel.
»Was machst du?«
»Gehe essen zu Marja und Telle.«
»Telle. Komischer Männername.«
»Das ist kein Männername.«
»Du gehst zu zwei Frauen?!?«
»Aber mit meinen Eltern!«
»Ich hasse dich! Am Ende bleibst du noch in Finnland.«
»Das fürchtet mein Vater auch.«
Hinter dem Rücken Gottes
Wir versuchen, in Tampere ein adäquates Gastgeschenk aufzutreiben. Es wird der Klassiker – Blumen und Wein. Den Wein gibt es natürlich im Alko. Langsam kommen wir klar mit dem finnischen Way of Life.
Wir sind pünktlich. Marja hat vor kurzem eine Neubauwohnung bezogen mit Blick auf einen kleinen Seitenarm des Pyhäjärvi-Sees. Wir bekommen eine Führung. Ich frage Marja nach der Kunst an den Wänden. Es sind Arbeiten junger Finnen, manche Bilder stammen auch von Marjas Freunden. Natürlich ist auch in dieser Wohnung eine kleine, aber feine Sauna integriert.
Wer ist eigentlich unsere Gastgeberin? »Marja, was machst du genau?«
»Ich betreue regionale Entwicklungsprojekte.«
Marja koordiniert verschiedene Bildungsprojekte, national und international. Sie erzählt uns von einem: »Vor zehn Jahren schon fuhr in Finnland der erste Internet-Bus,
netti-nysse
, der erste in Europa. Er fuhr in Landesteile, die noch nicht vernetzt waren. Der Bus kam, und auch alte Leute konnten üben.«
Ich frage nach den Bibliotheksbussen. Klar, das sei eine alte und lange Tradition in Finnland, dass Bücherei-Busse über Land fahren, Bücher ausleihen und natürlich auch immer wieder Kommunikation schaffen. Inzwischen gebe es auch einen »Ladenbus«, als Reaktion auf das Ladensterben in den ländlichen Regionen, gerade im Norden des Landes. Ein anderes wichtiges Projekt ist die Gesamtversorgung Finnlands mit Internet-Netzen, auch die letzten fünf Prozent des Landes, in entlegenen Regionen Lapplands, sollen angeschlossen werden, selbst wenn das für die Anbieter wirtschaftlich jenseits jeder Rentabilität liegt. Der Gleichheitsgedanke ist Anlass, hier für alle die selben Bedingungen schaffen zu wollen, Zugang zu Kommunikation und Daten.
Telle und Marja stehen an den Kochtöpfen, und
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