Finne dich selbst!
wie meine Eltern. Ein grauer Haarkranz wächst um den Schädel. Er lächelt einladend. Man gibt sonst nicht unbedingt dem Direktor des Museum Ludwig in Köln beim Eintritt die Hand, aber hier ist erstens alles kleiner und sehr viel persönlicher, und zweitens sind wir in Finnland. Und der Finne ist anders. Das bestätigt sich nun erneut. Wir werden mit freundlichem Händeschütteln begrüßt. Tauno spricht Finnisch. Fließend. Und ausschließlich. Das ist ein kleines Problem für uns.
Das
Suomen Harmonikka Museo
befindet sich im Erdgeschoss eines kleinen Einfamilienhauses. Alles ist voll und dicht gedrängt mit Musikinstrumenten. Das ist so berührend wie charmant. Im ersten Stock, dem Dachgeschoss, lebt Tauno mit seiner Frau. Ebenfalls dicht gedrängt, stelle ich mir vor. Und werde sofort bestätigt. Dort oben habe er noch mehr Harmonikas beziehungsweise Akkordeons, wie er uns versichert. Die Verständigung ist schwierig, und zwischendrin greift er immer wieder zum Handy. Im Hintergrund klingt aus einem kleinen Lautsprecher leise Akkordeonmusik. Wir stehen vor Vitrinen, die oft nur schmale Gänge frei lassen, und bestaunen darin Instrument neben Instrument. Tauno führt uns und zeigt und erklärt, und wir verstehen kein Wort und bewundern die ersten Akkordeons, lesen Namen und Hersteller und Produktionsjahre finnischer Instrumente.
»Kiek eis, Lahti«, zeigt Ilse auf eine kleine Texttafel, und Tauno nickt. Wir rätseln und entschlüsseln langsam die Begrifflichkeiten.
Aika
heißt Zeit und meint hier das Baujahr.
Paikka
heißt Ort, Platz oder Stelle und meint hier den Produktionsort, und der
valmistaja
ist der Hersteller. Wir stehen also vor einem Akkordeon, gebaut in Lahti von Taavi Kaplas im Jahr 1935 . Daneben ein Hohner-Akkordeon, hergestellt in Trossingen,
saksa
. Deutschland. Gebaut 1900 . Das Instrument hat den schönen Namen
lumikki
, Schneewittchen.
An den Wänden die Fotos berühmter finnischer Instrumentalisten. Wir lesen: Viljo Vesterinen, Jorma Juselius, Jussi Homan. Von Esko Könönen stehen hier Pokale und Medaillen, Auszeichnungen für diesen Virtuosen aus den Jahren 1947 bis 1965 .
Dann kommt ein neuer Museumsgast und begrüßt erst Tauno sehr herzlich, dann uns. Pauli. Pauli Rellman. Kein Gast, sondern ein Freund vom Chef. Per Handy hergebeten, um für uns zu übersetzen. »Versuche deutsch zu sprechen«, sagt er.
»Schon jetzt besser als wir finnisch«, sagt Hermann und schüttelt ihm die Hand.
Auch Pauli ist im fortgeschrittenen Rentenalter. Ein fröhlicher, etwas untersetzter Herr mit Bauch. Rundherum sympathisch, erinnert er Ilse und mich sofort an Mircea Krishan, den langjährigen Sketch-Partner von Rudi Carell. Pauli übersetzt ab nun Taunos Ausführungen und erklärt uns die Entstehungsgeschichte des
Suomen Harmonikka Museo
. Sein Deutsch ist gut, nicht perfekt, aber gerade durch die kleinen Grammatikfehler absolut zauberhaft.
Das finnische Akkordeonmuseum ist eine private Sammlung, entstanden aus einer Mischung aus Leidenschaft und Sammeltrieb. Pauli erzählt Taunos Geschichte wie ein klassisches Märchen und beginnt mit: »Es war einmal ein junger Mann, eher noch ein Kind …« Dieses Kind träumte davon, Akkordeon zu spielen. Aber es hatte kein Geld. Seine Eltern waren zu arm, ihm ein Instrument zu kaufen. Tauno durfte aber bei den Nachbarn spielen, und seine Sehnsucht nach einem eigenen Instrument wurde dadurch nur immer noch größer. Diesen Traum vom persönlichen Akkordeon hat sich Tauno inzwischen mehr als erfüllt. »Nun besitze ich 200 «, sagt er lachend. Sogar noch mehr, denn das sind nur die ausgestellten. Weitere 100 sind in anderen Räumen des ohnehin kleinen Hauses verteilt. Viele stammen aus Finnland, viele aus Italien, die meisten aus kleinen Fabriken, die längst nicht mehr existieren. Vor 20 Jahren endete die große Zeit des finnischen Instrumentenbaus, und 1995 , erzählen die beiden Herren in verschiedenen Sprachen, wurde das letzte Akkordeon in Finnland in Handarbeit gebaut. Sie zeigen auf einige der Instrumente in den Vitrinen. Die sind alle in Deutschland hergestellt worden.
»Aber die Namen auf den Instrumenten sind doch finnisch.«
Tauno lächelt: »Ja. Die Händler haben sich das so gewünscht und angeordnet. Sie wollten die Instrumente für den finnischen Markt mit finnischen Namen.«
Wir stehen vor einem Akkordeon, gebaut von Hermann Buttstädt,
saksa
, Gera. Also aus Deutschland, Gera, um 1900 . Es hat den Namen
kaiutar
. Hier wird die Übersetzung
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