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Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen

Titel: Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Eilenberger
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folgendermaßen: Der wahrhaft Gläubige bedarf der Kirche nicht. Er kann auch zu Hause beten, lobpreisen, singen, die Schrift studieren, weiß sich auch dort, gerade dort, mit seinem Gott ständig im direkten Gespräch. Der Nicht-Gläubige hingegen kann nicht mit gleicher Leichtigkeit zu Hause heiraten. Es sind damit niemand anderes als Nicht-Gläubige, denen die Kirche ihre Existenz als Institution von jeher verdankt. Gerade diese Menschen benötigen ihre Dienste und Botschaften und Sinnangebote am dringendsten.
    Und ganz unabhängig davon: Ist es denn, gut protestantisch gedacht, meine Schuld, dass das Geschenk des wahren Glaubens bisher nicht über mich gekommen ist? Recht verstanden bin doch ich es, der Grund zur Klage hätte!
    Natürlich werde ich keinen dieser Gedanken in das heutige Traugespräch einbringen - aber was einem eben so einfällt, wenn man eine halbe Stunde den Kopf in den finnischen Fahrtwind hält und sich fragt, ob die zähe braune Flüssigkeit, die durch die Belüftungsritzen auf den Schaltknüppel tropft, wohl brennbar ist oder nicht.
    Endlich da, sogar fast pünktlich. Gleich hier, im Café gegenüber dem Friedhof, haben wir uns verabredet.

JEDERMANN
    W eißt du, weshalb das Café Hypoteekki heißt?«, will ich von meiner finnischen Frau wissen.
    »Frag nicht«, antwortet sie, streicht die durchnässte Bluse glatt und rückt sich die beschlagene Brille zurecht.
    Gut. Frag ich halt nicht. Ist offenbar leicht nervös, die Gute. Verständlich. Schließlich treffen wir unsere Gottesfrau heute zum ersten Mal. Dennoch wäre es irreführend zu behaupten, wir wüssten nicht, was uns erwartet. Wie Frau Peltonen aussieht zum Beispiel, ist sozusagen a priori klar.
    Sie wird eine Brille mit einem auffälligen Kunststoffgestell tragen - entweder in grellem Grün, hellem Blau oder künstlerisch tiefem Schwarz, die Haare sind kurz geschnitten und in einem Hennaton gefärbt; circa eins fünfundsechzig groß wird sie sein und von kompakter Körperform, ohne dabei aber im eigentlichen Sinne dick oder auch nur pummelig zu wirken. Gekleidet in einem einfarbigen, pastellfarbenen Hosenanzug, auf dem Revers eine auffallend große Messing- oder Holzbrosche,
wird sie uns mit ihren hohen Wangenknochen aus engen Augen anlächeln.
    Jede finnische Frau zwischen fünfzig und sechzig Jahren sieht so aus. Es ist ein wahres Mysterium.
     
    »Siehst schick aus«, sage ich zu meiner Frau, was stimmt, wenn man einmal von den nassen Haaren absieht.
    Das ist auch kein Problem in Finnland. Sich gut gekleidet zu wissen, meine ich. Denn meine finnische Frau trägt, was jede seriöse finnische Frau ihres Alters zu einem derartigen Anlass auch tragen würde: eine Marimekko-Mohnblumenbluse im Sechzigerjahre-Design von Maija Isola, schwarz-weiß gemustert. Es gibt diese Bluse auch in rot-weiß, grün-weiß und blauweiß.
    Sofern Sie einmal in Finnland gewesen sind oder auch nur gemeinsam mit einer finnischen Familie in einem Flugzeug saßen, kennen Sie dieses Muster. Es ist so etwas wie die zweite Nationalflagge und findet sich neben Blusen auch auf finnischen Röcken, Tischtüchern, Socken, Gummistiefeln, Clogs, Badeschläppchen, Vorhängen, Bettwäsche, Jacken, Taschen, Geldbeuteln, Handtüchern, Kissen, Topflappen, Teekannenwärmern, Tellern, Tabletts, Schlüsselanhängern, Reisenecessaires, Brillenetuis, Brustbeuteln, Sommerhüten, Handschuhen, Handytäschchen, Untersetzern, Kinderwagen, Schulranzen, Rucksäcken, Schreibtischunterlagen, Bildschirmschonern, Fahrrädern, handgeschöpften Notizbüchern und kleinen Magnettäfelchen für den Kühlschrank. Alles von Marimekko, klar.

    Einen finnischen Haushalt ohne dieses Muster gibt es nicht.
    Undenkbar.
    Begonnen aber hat alles mit der Maija-Isola-Bluse. Sie ist die Mutter aller Marimekko-Muster und dient damit als definitorische Grundlage dessen, was es in Finnland bedeutet, gut angezogen zu sein. Es kommt bei Familienfesten oder Empfängen deshalb auch durchaus nicht selten vor, dass gleich mehrere, unter Umständen sogar eine Mehrheit der anwesenden Damen die gleiche Bluse trägt, was niemanden zu stören, ja, nicht einmal zu belustigen scheint.
    Es mag im vierten oder fünften Jahr unserer Beziehung gewesen sein, als ich meine Frau in einer besonders ausgeruhten Stimmung einmal danach zu fragen wagte, ob es nicht auch andere denkbare Blusenmuster gebe und was es mit diesen überdimensionierten Mohnblumen grundsätzlich auf sich habe.
    »Der Muster ist einfach schön«, gab meine

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