Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
Frau da spitz zur Antwort.
Klar. Und wenn etwas schön ist , und dazu auch noch einfach schön, wird es nicht dadurch weniger schön, dass alle es schön finden. Schönheit für alle, so ließe sich die grunddemokratische Mohnblumenmusterphilosophie, unikonkukkakuviofilosofia, von Maija Isola bündig zusammenfassen. Auch wenn dies im Ergebnis bedeuten mag, dass alle Frauen die gleiche Bluse tragen.
Für Finninnen ist das kein Problem. Im Gegenteil. Es ist ein normenspendendes Ideal am Grunde ihrer Kultur.
Deutlich sehe ich in diesem Moment meine Tante
Gertrud in der engen Küche ihres Bennewitzer Hauses vor mir. In einer violett karierten Polyesterbluse und mit todgrauer Hornbrille rührt sie mir Zuckerwasser an und zeigt auf die braune Tüte aus grobem Paketpapier.
»Weißt du, Kleener«, sagt sie, »im Prinzip haben wir hier alles, wenn es nur ein bisschen schöner aussehen würde.«
Hätte wahrscheinlich gar nicht viel gekostet, sämtliche volkseigenen Produkte der DDR mit dem Mohnblumenmuster von Maija Isola zu bedrucken. Ich kann mir sogar vorstellen, dass sich Kekkonen in der Sauna dazu hätte überreden lassen, Ulbricht die Rechte lizenzfrei abzutreten.
Finnland existiert jedenfalls noch. Und wie.
»Du siehst auch gut aus«, flötet meine Frau und meint vor allem mein Hemd.
»Ich weiß«, sage ich.
Ich weiß es wirklich. Denn ich trage ein langärmliges, längs gestreiftes Hemd in Blautönen. Ich besitze dieses Hemd natürlich auch in anderen Farbkombinationen, denn seit sieben Jahren schenkt mir meine Frau zu jedem Geburtstag ein Längsstreifenhemd von Marimekko und zu Weihnachten ein langärmliges Querstreifenhemd von Marimekko. Ich mag diese Hemden. Sie sind einfach schön. Vor allem aber geben sie mir das unglaublich befreiende Gefühl, zu jedem finnischen Anlass hervorragend gekleidet zu sein: das grob gerasterte Querstreifenhemd für den häuslichen Alltagsgebrauch, das feiner nuancierte Längsstreifenhemd für repräsentative
Anlässe. Da beide Hemden, wie auf dem Etikett ablesbar, in Finnland gefertigt wurden, sind sie praktisch unzerstörbar. Nach Ukkis Garderobe zu schließen beträgt ihre durchschnittliche Tragedauer mindestens dreißig Jahre. Über das Thema Herrenoberbekleidung muss ich mir also für den Rest meines Lebens keine Gedanken mehr machen. Damit bin ich durch.
Es ist wahrlich ein Geniestreich von einem Hemd. Allein die Festigkeit des Materials! Ohne schwer, klobig oder steif zu wirken, ist es exakt eng genug gewebt, um seinen Träger vor Angriffen der finnischen Mücke und sogar der Bremse sicher geschützt zu wissen, gleichzeitig aber luftig, atmungsaktiv und schweißvermeidend, außerdem trocknet es recht zügig. Allein über die kompakte Rundform der sanft durchs Knopfloch gleitenden Aluknöpfe ließen sich Oden verfassen.
Das Schönste aber an diesem Stück Stoff ist unzweifelhaft der Name: Jokapoika. Auf Deutsch heißt das Jedermann, zu wörtlich übersetzt sogar Jederjunge. Und nie wurde ein Kleidungsstück treffender benannt. Es ist mehr als ein Hemd, es ist ein politisches Manifest!
Den Jokapoika am heutigen Tage nicht zu tragen, hätte einen ähnlich misslichen Verdacht hervorgerufen, wie in einem neuen Daimler-Cabrio vorzufahren. Ich wäre als ein Mann wahrgenommen worden, der die Geburtstagsgeschenke seiner finnischen Frau nachlässig behandelt und im Schrank verlottern lässt, möglicherweise sogar als störrischer Nonkonformist, dem es augenscheinlich an einer selbst minimalen Grundbereitschaft mangelt, sich in Gesellschaft und Kultur seiner zukünftigen Gattin
einzufinden. Und dergleichen, das kann ich versichern, sieht man hierzulande gar nicht gern!
Den obersten Knopf soll ich noch öffnen, bittet meine Frau, ganz bis zum Kragen sei schrecklich unfinnisch. Alles, was du willst, mein Herz. Alles. Mich ficht heute nichts an. Denn in meinem durchnässten, intensiv nach Auspuffgasen riechenden hell-dunkelbau gestreiften Marimekko-Hemd bin ich für das gesamte Dorf als ein Mann erkennbar, der Stil hat und anzupacken weiß.
Und als ich die sympathische Dame am Ecktisch erblicke, wie sie in ihrem mintfarbenen Hosenanzug und mit charakterstarker, hellgrün gerahmter Hornbrille nachdenklich an ihrem Hefegebäck, pulla, zupft und sogleich freundlichen Blickkontakt aufnimmt, freue ich mich sogar fast ein bisschen auf unser Gespräch, auch wenn Frau Peltonen, wie sich bald herausstellt, zunächst mit meiner Frau alleine sprechen will. Sie werde mich dann rufen,
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