Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
schraubten diese Champions an den Rostlauben ihrer Väter herum und durften sich im Knabenalter auf einsamen Waldwegen unbehelligt in schwierigsten Manövern üben.
Gegen eine Fahrt von Helsinki in das mittelfinnische Mökki ist das Anforderungsprofil von Paris-Dakar jedenfalls geradezu ein Witz. Neben wechselnden Untergründen (Asphalt, Schotter, Wald- und Sandwege) und enger Straßenführung wird dem gemeinen Mökki-Pendler in der Regel auch jahreszeitlich alles auf einmal abverlangt (Schnee, Eis, Hagel, Matsch, Dürre). Womit übrigens auch eine zweite große finnische Sportdomäne des 20. Jahrhunderts plausibel erklärt wäre: die ehrenvolle Ahnenreihe der Mittel- und Langstreckenchampions von Nurmi bis Virén - bewundernswert leidensfähige Heroen, deren Familien seinerzeit noch kein Auto besaßen und folglich stets selbst marschieren mussten. Nicht zuletzt die langen Wege hinauf zur Dorfkirche.
Der Einfluss der Religion auf das Leben der Finnen ist insgesamt schwer einzuschätzen. Statistisch gesehen ist die Gesellschaft genauso streng christlich-lutherisch wie Saudi-Arabien muslimisch-whahabitisch ist. Nominell herrscht zwar absolute Religionsfreiheit, aber es gibt nun
mal keine andere Religion und damit auch kaum jemanden, der sich diese Freiheit nehmen wollte. Katholiken beispielsweise machen in Finnland gerade einmal 0,2% der Bevölkerung aus.
Verfassungsrechtlich gesehen ist das Land eine Art Theokratie. Eine saubere Trennung zwischen Staat und Kirche, wie sie in den meisten zivilisierten Ländern Standard ist, existiert bis zum heutigen Tage nicht. So wird beispielsweise jedes neu geborene finnische Kind, ungefragt und automatisch, von den Behörden als neuer Lutheraner geführt. Vor allem aber ist das finnische Staatsoberhaupt von Amts wegen auch Oberhaupt der finnisch-lutherischen Kirche. Ohne auf Einzelheiten einzugehen - es handelt sich um ein verfassungsrechtliches Relikt aus der russischen Zarenzeit, nur eben dass der finnische »Zar« seit 1918 demokratisch vom Volk gewählt und presidentti gerufen wird.
Mit Tarja Halonen wurde im Jahre 2000 nun erstmalig eine Person zur Präsidentin und damit zum Oberhaupt der lutherischen Kirche gewählt, die als Studentin ganz bewusst aus dieser Kirche ausgetreten war. Eine missliche Situation. Die Finnen sprechen nicht gerne darüber. Denn obwohl es Tarja als pragmatisch orientierter Sozialdemokratin gewiss nachgesehen worden wäre, mit der Würde des neuen Amtes bekleidet in den Schoß der Kirche zurückzukehren, erklärte sie die Angelegenheit zu einer Gewissens- und also Glaubwürdigkeitsfrage von höchster Relevanz und ließ statt dessen die Verfassung ändern.
Was ich sagen will: Die finnische Frau nimmt religiöse Fragen sehr ernst, vor allem wenn sie Atheistin ist. Sie
lässt sich da schlechthin nicht hineinreden. Auch meine eigene nicht.
Ein Wiedereintritt kam zu keinem Zeitpunkt infrage, weshalb ich es nachgerade als Fügung bezeichnen will, dass mein Vater kurz nach meiner Geburt unsere gesamte Familie zur evangelisch-lutherischen Kirche umgemeldet hatte. Anstatt Kirchensteuer entrichten zu müssen - dies blieb das Privileg der evangelisch-reformierten Landeskirche -, wurde man als badischer Lutheraner von seiner Gemeinde lediglich zur freiwilligen Zahlung angehalten. Für jeden rechtsverständigen Menschen, wie es mein Vater als Jurist zweifellos war, implizierte das, selbiges Ansinnen auch folgenlos ignorieren zu können.
Ich bin also von früher Kindheit an überzeugter Lutheraner und habe damit als EU-Bürger auch in Finnland Anspruch auf eine kirchliche Trauung nach meiner Konfession.
Mit etwas Glück und guten Kontakten gelang es uns, die Pfarrerin der finnisch-lutherischen Gemeinde zu Berlin, Maija Peltonen, per E-Mail von unserem dringenden Wunsch nach einem zweisprachig gehaltenen Traugottesdienst zu überzeugen - Anreise- und Übernachtungskosten würde selbstverständlich der finnische Kirchensteuerzahler übernehmen. Frau Peltonen sagte schnell zu. Sie hatte ohnehin einen Heimaturlaub anvisiert.
Ich liebe dieses Land. Und alle, die nun im Geiste hell empört aufschreien und meine Frau wie mich des häretischen Schmarotzertums zeihen, weil ein derartiges Verhalten
Idee und Aufbau der Kirche als Institution untergrabe, will ich bitten, noch einmal prüfend in sich zu gehen und zu überdenken, ob solch eine Anklage wirklich moralisch berechtigt ist.
Schließlich verhält es sich, wie gerade Lutheraner bestätigen müssen, ja
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