Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
sagt sie.
ZIRKEL
M it meiner Person sind wir schnell durch.
»Eine tolles Frau haben Sie!«, sagt Frau Peltonen, als sie von der Glasvitrine mit einem weiteren pulla zurückkehrt.
»Danke, finde ich auch.«
Sie erklärt mir, dass die Finnische Gemeinde Berlin keine Steuern erheben dürfe, aber von ihren Mitgliedern einen freiwilligen Beitrag in gleicher Höhe erbete; ein Verfahren, mit dem ich mich einverstanden und bestens vertraut erkläre. Und dann gebe es da noch diese eine kleine Sache, dieses Lied, das wir uns zur Eröffnung der kirchlichen Zeremonie gewünscht hätten.
»Ja, Into My Arms von Nick Cave, wunderschön«, sage ich. »Das war meine Idee, Pia hatte Ihnen ja, wie gewünscht, den Text zugemailt.«
»Genau«, erwidert die Pfarrerin, holt eine grüne Zellophanhülle aus ihrer Marimekko-Tasche, rückt ihre gleichfarbige Brille zurecht und zeigt mit dem Finger auf die erste Zeile des Ausdrucks. Vor allem über den Beginn des Liedes wolle sie schon noch einmal mit
mir sprechen: I don’t believe in an interventionist God. Sie frage sich nämlich, was der Künstler wohl unter einem interventionistischen Gott verstehe.
»Ich glaube, einen Gott, der eingreift, der interveniert.«
»Worin eingreift?«, will Frau Peltonen wissen.
»In unser Leben, in unsere Welt, so würde ich das verstehen.«
»So«, sagt die Peltonen und zupft ein Stück von ihrem Gebäck ab.
»Ja«, erkläre ich, »es ist ja ein Liebeslied, das von den Wünschen handelt, die die Liebenden füreinander haben, und jede Strophe endet, wie Sie sehen, mit der Anrufung O Lord, o Lord , das heißt, die Idee von Gott wird in diesem Lied durchaus nicht verabschiedet, sondern nur umgedeutet. Der gepriesene Gott darin ist keiner mehr, der sozusagen noch eigenhändig dafür Sorge tragen könnte, dass meine Frau jetzt zum Beispiel unversehrt vom Friseursalon zu uns zurückkehrt.«
»Weshalb wird dieser Gott dann überhaupt noch angebetet?«, will die Peltonen wissen, »wo er doch gar nicht mehr eingreifen kann?«
»Als ein Ausdruck menschlicher Hoffnung«, sage ich und sehe die Notwendigkeit, nun doch ein wenig weiter auszuholen.
Es gebe da von William Blake, dem Dichter und Maler aus dem späten 18. Jahrhundert, eine wunderbare Zeichnung - Cave hat sich übrigens intensiv mit dem Werk Blakes beschäftigt, sogar mit dem Gedanken gespielt, ein Theaterstück über dessen Bilder zu schreiben. Blakes
Zeichnung einer Schöpfungsszene, im Grunde sei es nur eine Skizze, zeige eine göttliche Hand, die einen Zirkel auf den Erdball anlegt, sage ich, und spreize zwei Kuchengabeln über dem Gebäck meiner neuen Pfarrerin.
»Der Witz dabei ist natürlich die Frage: Wozu braucht Gott einen Zirkel? Der Zirkel ist ja ein menschliches Instrument, von Menschen für Menschen gemacht …«
»Aber dann greift dieser Gott ja schon ein, mit das Zirkel nämlich«, bemerkt Frau Peltonen.
»Ja«, sage ich, »aber eben mit dem Zirkel, und wenn es eine Schöpfungsszene ist, woher kommt dann der Zirkel? Und wozu braucht ihn ein Gott ? Es ist sozusagen ein Paradox.«
»Verstehe«, nickt die Pfarrerin und zupft ein weiteres Stückchen von ihrem pulla ab.
»Es lässt sich aber auch viel einfacher erklären. Wenn die brasilianischen Fußballprofis zum Beispiel nach einem gewonnenen Finale ihre Trikots ausziehen und darunter noch ein weiteres T-Shirt tragen, auf dem dann DANKE, JESUS oder GOTT IST DER GRÖSSTE steht, so etwas haben Sie doch schon einmal im Fernsehen gesehen, nicht wahr?«
»Habe ich«, sagt die Peltonen.
»Das legt für mich den Gedanken eines Gottes nahe, der diesen Spielern hilft und ihnen beisteht, ihr Finale zu gewinnen, ja, im Extremfall auch mal höchstpersönlich eingreift und den Ball über die Linie drückt oder einen günstigen Verlauf bewirkt. Und wer an so einen Gott glaubt, der glaubt an einen interventionistischen Gott.«
»Aber der Spieler tragen die Hemd doch schon vor und während der Spiels«, entgegnet Frau Peltonen.
»Stimmt, aber wenn sie das Spiel verlieren, zeigen sie die T-Shirts nicht«, sage ich. »Worum es Cave in diesem Lied geht, ist ein Gott, der für uns unter uns lebt. Das könnte man doch durchaus als die entscheidende Botschaft des Neuen Testaments verstehen, die Aufgabe des interventionistischen Standpunktes, die Auslieferung Gottes an unsere Welt in der Gestalt von Jesus, und solch ein Gott ist dann eben nicht mehr allmächtig, sondern er fände sich allein in der Liebe wieder, die wir Menschen füreinander
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