Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
empfinden. Es ist eben kein Gott mehr, der Fußballfinale oder sonst irgendetwas für uns entscheidet.«
»Weil sie es nicht mehr kann, oder weil sie es nicht mehr will?«
»Wer jetzt?«
»Gott«, sagt die Peltonen.
»Weil er es nicht mehr kann«, sage ich. »An einen Gott, der so etwas kann, glaube ich nicht. So ein Gott käme mir ziemlich primitiv, gewalttätig, ja, im wahrsten Wortsinne unmenschlich vor.«
»Herr Eilenberrrrger«, sagt Maija Peltonen nach einer langen Pause, in der sie nicht ein einziges Mal nach ihrem pulla greift.
»Oh, bitte, Wolfram«, sage ich - weil sich in Finnland ja alle duzen.
»Wolfrrrram«, setzt sie von Neuem an, »vielleicht sollten wir doch an ein anderes Lied denken.«
»Hm, gut, ich verstehe, die Lohengrin -Ouvertüre, die
lieben wir auch ganz besonders, meine Frau und ich, müssten wir dann halt ein bisschen kürzen, klar.«
»Nein«, sagt Frau Peltonen, sieht sanft aus dem Fenster hinüber zum kioski und lässt mir genügend Zeit zu begreifen, dass ich mich in diesem Moment an einem Scheideweg meiner finnischen Existenz befinde, denn noch ein falscher Vorschlag, und das war es dann mit unserer zweisprachigen kirchlichen Trauung und also mit unserer kirchlichen Trauung überhaupt.
»Na, wie geht es euch beider?«, fragt meine Frau und legt ihre nassen Arme von hinten um meinen Nacken. »Mit der Friseurtermin ist jetzt alles klar.«
»Schön, dass du wieder da bist«, sage ich und habe den Inhalt dieses Satzes selten so intensiv empfunden.
»Ja, Gott sei Dank«, stimmt die Pfarrerin ein, und nach einem kurzen Gespräch in ihrer gemeinsamen Muttersprache, an dem ich nicht mehr teilnehme, haben sich die beiden Frauen auf die Finlandia von Sibelius als Eröffnungsmusik geeinigt.
»Hab dich trotzdem lieb«, sagt meine Frau, nachdem ich ihr noch einmal in allen Einzelheiten ausgelegt habe, wie knapp das vor zwei Wochen im Hypoteekki war.
Ohne Maija Peltonen wäre uns nichts anderes übrig geblieben, als vor versammelter Hochzeitsgesellschaft Hand in Hand zum Mökki-Steg zu laufen und darauf zu hoffen, dass Senni und Samuli zum genau richtigen Zeitpunkt vorüberfliegen, um unserer Bindung dann doch noch einen höheren Segen zu verleihen.
»Dabei habe ich es ihr genau so erklärt, wie wir beide das besprochen hatten, genau so«, sage ich, von der Erinnerung an das Gespräch noch ein wenig aufgewühlt.
»Naja, die Finlandia ist ja auch eine schöne Musik«, krault meine Frau mir den Nacken.
Das ist sie, ist sie weiß Gott. Aber erst jetzt, in diesem Moment, begreife ich, was damals im Café tatsächlich vor sich gegangen ist, mit meiner Frau, Pfarrerin Peltonen und mir. Ich war nur zwanzig Minuten weg. Saß draußen auf der Holzbank, mit Blick zum Friedhof, und genoss nichts ahnend mein Roggenbrot mit Lachs, während die beiden da drin …
Wahnsinn, diese Finninnen.
IHME JA KUMMA - BLAUE WUNDER
MISS UNIVERSUM
E in ewiges Dämmern ist die Nacht im Sommer. Am Himmel einsame Wolken, zum Greifen nah. Spätnachmittags noch gleißend weiß, nehmen sie zum Abend einen goldenen, bald purpurnen Ton an, um ihre Konturen schließlich im flächigen Grünschimmer der Mitternacht zu verlieren.
Alles wird gut, morgen ist unser Tag.
Über ganz Suomi, mit einem kleinen Luftsprung hat es die Wetter-Liisa auf YLE 1 verkündet, wird dieses Wochenende die Sonne strahlen. Sogar in Kittilä, am Rande der Welt, soll das Thermometer auf über 25 °C steigen. Fünf, sechs, solcher himmelblauen Tage werden dem Land pro Jahr geschenkt. Selten mehr. Manchmal weniger.
Sie sind der Sommer, der nach finnischem Verständnis bereits am 1. Mai beginnt, wenn die Einwohner Turkus, der wärmsten Stadt des Landes, sich zum Picknick am Ufer der Aura einfinden und die Studenten sich Stunden später, vom koskenkorva gewärmt, ihrer Overalls entledigen, um in Badehose oder Bikini auf ihren Schlitten den Universitätshügel herunterzurodeln.
Das nächste Schlüsseldatum fällt auf das dritte Juniwochenende. Binnen weniger Stunden des Freitagnachmittags verteilen sich dann fünf Millionen Finnen in familiären Kleinstgruppen zum Juhannus, dem Mittsommerfest, auf die mehr als siebenhunderttausend Mökkis des Landes, um sich an seenahen Gemeindehäusern in Kapuzenpullis und Gummistiefeln bei Kaffee, kahvi , und Grillwurst, makkara , gemeinsam an den riesigen Sonnenwendfeuern zu wärmen. Ab jetzt, das weiß jeder im Herzen und will es doch nicht wissen, werden die Tage wieder kürzer. Nur fünf Wochen
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