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Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen

Titel: Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Eilenberger
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offiziellen Teil des Termins ein.
    »Natürlich«, sagt meine Frau.
    »Na, dann zeigen Sie mal die Unterlagen her.«
    Womit der Moment erreicht wäre, auf den meine Frau die vergangenen zwei Wochen konzentriert hingearbeitet hat, durch lange und wiederholte Anrufe bei finnischen Behörden, in deren Verlauf sie ziemlich oft das Wort itä-Berliini und vanha fasistinen verwendete, sich mit ihren Gesprächspartnerinnen am anderen Ende des Meerbusens ansonsten aber durchaus köstlich zu amüsieren schien.
    Wir packen also aus. Alles da, nur die Frage der Geburtsurkunde steht noch offen im Raum.
    Es ist nämlich so: In Finnland gibt es keine Geburtsurkunden. Aber eigentlich ist es noch komplizierter. In Finnland gibt es seit einigen Jahren auch keine Originaldokumente mehr, sondern nur noch persönliche Dateien, die man per Computer von jedem Ort der Welt aus selbst ausdrucken kann, so oft man will und lustig
ist. Und wenn es keine Originale mehr gibt, gibt es also auch keine beglaubigten Kopien dieser Originale mehr. Die ganze Idee löst sich in Luft auf, was im Prinzip nicht schwer zu erfassen ist, Ostberliner Verwaltungsbeamtinnen aber offenbar formal wie inhaltlich überfordert.
    Außerdem existiert seit 1999 ein neues EU-Gesetz, demzufolge die Dokumente eines jeden EU-Bürgers in jedem anderen EU-Land in der Originalsprache Gültigkeit besitzen; etwaige Übersetzungen müssen von den Behörden und nicht mehr von den Bürgern selbst geleistet werden. Meiner Frau wurde dringend geraten, die zu erwartenden Übersetzungskosten von ungefähr fünfhundert Euro doch zu investieren, denn nach derzeitiger Finanzlage des Landes Berlin sei mit einer beglaubigten Übersetzung vom Amt nicht vor Ablauf eines Jahres Wartezeit zu rechnen.
    Es war dieser gewiss nur gut gemeinte Rat, der meine Frau dazu bewegte, eine ihr um drei Ecken bekannte finnische Abgeordnete des Europaparlamentes zu kontaktieren, sich ihrer bedingungslosen Unterstützung zu versichern, die korrekte Aussprache des deutschem Wortes »Präzedenzfall« jeden Abend vor dem Spiegel einzuüben und also für den Fall, dass ihr heute erneut ein ähnlicher Vorschlag unterbreitet werden würde, das Land Berlin per Eilverfahren vor den Europäischen Gerichtshof zu zerren. Ich war von Anfang an gegen diese Taktik. Aber so lautete ihre Bedingung, sonst wäre sie gar nicht erst mitgekommen.
    Herr Wensauer nun erklärt sich mit Paragraf 47 bestens vertraut und versichert meiner Frau, er werde das
zügig regeln. Allerdings zeigt er sich sichtbar überrascht von einem finnischen Dokument, auf dem in großen Lettern »Birth Certificate« steht und das mit blau-weißen Stempeln nur so vollgepflastert wurde. Ganz offenbar hatte meine Frau eine Beamtin ihres Heimatlandes überreden können, am Computer zunächst eine imaginäre finnische Geburtsurkunde zu kreieren, diese dann eigenmächtig ins Englische zu übertragen und schließlich so viele Bürostempel wie nur irgend möglich auf das Dokument zu drücken. Deutsche Beamte, ist meine finnische Frau überzeugt, stehen nämlich auf Stempel.
    Manchmal macht sie solche Sachen, ohne mich zu fragen.
    »Aha, Oopperakaupunki Savonlinna«, liest Herr Wensauer den Schriftzug des größten Stempels vor, hält das Blatt prüfend gegens Licht und fragt dann in strengem Tonfall, ob meine Frau auch eine finnische Taufbescheinigung vorlegen könne. Diese sei der deutschen Geburtsurkunde behördlich gesehen bekanntlich äquivalent.
    »Was für eines Urkunde?«, fragt meine Frau und sieht mich an, als befürchte sie die unmittelbare Deportation. » Kastetodistus «, sagt Herr Wensauer.
    »Ja, ja, selbstverständlich«, erwidert meine Frau überraschend akzentfrei, zieht nach kurzer Suche ein kleines gelbes DIN-A5-Dokument aus ihrer Marimekko-Tasche und tauscht es gegen das Blatt mit den Stempeln aus.
    » Oikein hyvä «, nickt Herr Wensauer. »Kennense übrigens den Witz von dem deutschen Mann in der Todeszelle?«, wendet er sich nun an mich.
    »Nein, tut mir leid.«

    »Nun, kommt ein Pfarrer in die Todeszelle und fragt den Verurteilten nach seinem letzten Wunsch, worauf der sagt: ›Hochwürden, ich würde gerne Finnisch lernen. ‹«
    Ich lache. Was bleibt mir übrig.
    »In zwei Wochen könnense den Termin beantragen.« Herr Wensauer erhebt sich von seinem Stuhl und bittet uns hinaus.
    »Ja, hyvää paivänjatkoa «, sagt meine Frau. »Und danke, das war sehr schön bei dich.«
    » Samoin, samoin «, wiegelt Herr Wensauer ab. »Ach, wo haben Sie

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